"Nur Gottes Werk"


Pfarrer Kurt Boltres

"Corona zwingt uns an den Schreibtisch," schreibt Pfarrer Kurt Boltres aus dem Burzenland. In seinen Gemeinden Honigberg und Rosenau bietet er seit März schriftliche Gottesdienste an. In der Predigt für den 8. Trinitatissonntag teilt uns Pfarrer Boltres seine Gedanken zum Evangelium des Johannes 9,1-7 mit.

1 Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. 2 Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist ? 3 Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm.  4 Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. 5 Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. 6 Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden. 7 Und er sprach zu ihm: Geh zum Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

Schicksalsschläge, wie Krankheit und Behinderung provozieren bis heute die Frage nach der Schuld, nach dem Verschulden, nach dem Vergehen, nach der Sünde. Bei schweren Schicksalsschlägen suchen die Menschen nach Erklärungen und stellen sogleich ihr Tun und Ergehen in einen Zusammenhang: Was habe ich getan, dass mir das widerfährt? Warum hat es gerade mich getroffen? Wieso trifft es mich gerade jetzt, wo ich keine Möglichkeiten habe, dazu gerade Stellung zu nehmen oder dafür gerade zu stehen? Zusammenhänge herzustellen und Erklärungen zu finden scheint uns Menschen immer ein ewiges Bedürfnis zu sein.

Denn, wann immer der Mensch unerwartet getroffen wird, sucht er nach Sinn und der Bedeutung. Bin ich schuld an meinem Unglück – oder ist es ein anderer ? Und dann trifft es meistens den anderen, denn auf andere die Schuld zu schieben, ist uns eine besondere Freude. Als Kinder haben wir oft mit Schleudern gespielt. Sogar zu Weihnachten erhielt ich, schön verpackt eine nagelneue Schleuder. In meiner Nachbarschaft hatte doch jeder der 8 Jungen eine Schleuder. Und eines Tages schossen wir auf alles war sich bewegte. Leider konnte eine Fenster nicht beiseite springen und wurde getroffen. Es klirrte und schepperte und war sehr laut. Zur Rede gestellt, war plötzlich keiner der Jungen schuldig, oder besser gesagt, es wurde die Schuld eben dem Unschuldigen in die Schuhe geschoben, weil wir ihn in unserer „gaşcă“ (Clique) nicht mochten und dieser musste nun die Konsequenzen ziehen. Er hat es ertragen, weil er von uns nicht verstoßen werden wollte. Das war für ihn ein hoher Preis.

Hier in dem Predigtwort begegnet uns ein Blindgeborener, der vom Schicksal hart getroffen war. Er kannte das Augenlicht nicht. Nicht zufällig wird dieser Blinde von Jesus und seinen Jüngern bemerkt. Gleich wollen die Jünger anhand dieses Beispiels wissen, wie Jesus über Schuld und Sühne denkt. „Meister, - fragen sie – wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist?“  Wem soll man die Schuld für diesen Schicksalsschlag zuweisen?

Bei Blindheit muss irgendwo eine Störung vorliegen, eine Störung bei ihm, oder bei den Vorgängern. Es muss eine Folge des Urgehorsams sein, und diese Sünde muss mit auferlegtem Leiden vergolten werden. Auch bei diesem Blindgeborenen, als einem Sonderfall, muss die Schuld doch bei den Eltern gesucht werden. Dieses Denken könnte seine Ursache auch in der Natur haben. Ich kann mich erinnern an ein Schwalbennest, das Jahr für Jahr von Schwalben bezogen wurde. Ob es dieselben Schwalben waren oder der junge Nachwuchs, ich weiß es nicht. Aber beim Ausschlüpfen der Jungen konnte man oft neben den Eierschalen auch tote unbefederte Junge sehen. Die Schwalbenmutter, wie auch die Rabenmutter (geläufiger Ausspruch) wirft ihr missbegildetes Junge aus dem Nest und lässt es verenden. Missbildung, Behinderung, Geschädigte sind nicht lebensfähig. Nach der Ursache zu suchen ist grausam und auch unchristlich.

Blindsein wird in der Bibel meist bildlich verstanden. Menschen sind „blind“, wenn sie keinen Blick für das Wesentliche haben. Menschen sind „blind“, wenn sie die Zeichen, die Gott ihnen schickt nicht erkennen und wenn sie das Eigentliche verfehlen. Aber hier liegen die Dinge ganz anders, denn der Blinde ist von Geburt an ohne Augenlicht. Von einem mangelnden Glauben, wie vermutet wird, oder einer schweren Schuld ist nichts gesagt. Der Blinde bittet auch nicht um Hilfe. Er wird lediglich zum Objekt der Handlung und wird durch Jesus geheilt. Diesmal geschieht es nicht durch ein heilendes Wort, sondern durch eine Zeichenhandlung, an der er selber mitwirken muss.

Nun, aber wer hat denn hier gesündigt ? So grübeln die Jünger nach einer Antwort und nach der Wurzel des Übels, denn so verstehen sie es. Denn so war damals eine gängige Vorstellung, da? jedes Tun und jedes Ergehen in einem engen Zusammenhang stehen. Tatbestand und Kausalität liegen nahe beieinander. Dies auch über Generationen hinweg, wo die Kinder die Sünde der Väter weitertragen, sogar „bis ins dritte und vierte Glied“ (2.Mose 34,7). So wollen die Jünger den Grund der Erkrankung auch hier sehen und erkennen, mehr noch durch Jesus Christus sogar bestätigt wissen.

Doch dieser Auffassung stellt sich Jesus in Wort und Tat entgegen. Nein, WEDER - NOCH hat gesündigt ! Statt ein „Woher“ dieser Krankheit zu erklären, lenkt er den Blick auf das „Wozu“ ! Es hat weder dieser Blinde gesündigt, noch seine Vorfahren, sondern es sollen an ihm die Werke Gottes offenbar werden, - lässt Jesus hier die ganze Christenheit wissen. Er lässt es jedoch nicht nur bei dieser Antwort, sondern schreitet auch zur Tat. Er heilt den Blindgeborenen, so dass dieser nach der heilsamen Wäsche im Teich Siloah, wieder sehen kann. Durch Gottes Kraft ist diese Heilung geschehen, damit Gott gedankt und gelobt und gepriesen werde.

Uns soll hier deutlich werden, dass in manchen Situationen des Lebens, der Blick zurück nichts nützt, weil sich dort die Ursache zur jetzigen Behinderung nicht finden lässt. Niemand anders kann verantworten, was jetzt ist, außer einem selber. Ein Grübeln nach Ursache oder einer Schuldzuweisung vergiftet nur die Beziehung zueinander bei solchen Dingen, die man nur aushalten, aber nicht verändern kann. So muss auch der Blinde hier, als ein Mensch ohne Namen und ohne Stimme, nur aushalten und die Dinge so nehmen, wie sie sind. Die Suche nach der Kausalität bringt hier nicht viel.

Es ist kein einzelner Schicksalsschlag, an den wir erinnert werden. Es gibt nämlich welche Situationen, die uns an den Rand der Belastbarkeit führen können. Eine plötzliche Erkrankung, ein  Unfall, der Tod eines Angehörigen oder auch die Erfahrung körperlicher und geistiger Behinderung. Solche Erahrungen provozieren immer wieder zur Frage nach der Schuld und können die Betroffenen dann auch schwer belasten, manchmal über Generationen hinweg. Das kennen wir nur zu gut, wo in unseren siebenbürgischen Familien oft mehrere Generationen auf einem Hof wohnten, - Ur-Groß-Eltern-Kinder. Die Behinderten oder die Kranken wurden nur im Extremfall in Heime abgeschoben; sie wurden von der Großfamilie in Geduld getragen und auch ertragen. Sich dafür zu schämen oder schuldig zu fühlen, blockierte oft die Gespräche und erschwerte den Umgang miteinander. Das war immer die erste Frage, doch wenn man sich mit dem Schicksal arangiert hatte, erhielt das Tragen und Ertragen eine andere Nuancierung. Und wenn später den Gerüchten zufolge der Schatten der Vergangenheit wieder auftrat, so konnte man auf eine gewonnene Erfahrung zurück greifen. Das habe ich selber erfahren können. Und deshalb haben wir in unsere Familie den behinderten Helmut aufgenommen, um ihm eine würdige Bleibe zu geben. Er kennt die Kausalität seiner Behinderung nicht, er weiß nichts von Schuld und Sühne, er kennt und spürt die neue Geborgenheit und den Schutz, der ihm geboten wird. In seiner Art schätzt er es. Und damit ist bei ihm und bei uns Vieles erreicht.

Ein Schicksalsschlag darf nicht das Leben hindern. Er ist deshalb für uns bestimmt, damit wir neue Wege gehen, die uns von Gott zugewiesen werden. Dafür müssen wir uns aber auf den Weg machen. Durch Gottes Kraft werden wir geheilt und nur er kann uns zu dem neuen Anfang und den neuen Aufgaben verhelfen, soviel Gottvertrauen gehört dazu. Das ist bei dem Blindgeborenen auch geschehen. Er ist losgegangen und hat sich gewaschen, um die Handlung an ihm zu vollenden. Die Intuition kam von Gott und Gott lenkte ihn dazu. Das ist der Augenblick, in welchem ein Mensch neu geschaffen und vom Objekt zum Subjekt wird.

Der neue Mensch geht seinen Weg, wie sein weiteres Leben bestimmt worden ist. Er gibt dann seine Erfahrung mit Gott weiter in der Art, wie er seine eigenen Worte dafür findet, um die Heilung als Gottes Werk zu verkünden. Denn er hat es als Gottes Werk gesehen und erlebt. Dieses Werk Gottes wird dort sichtbar, wo es nicht mehr zurückverfolgt wird und auch nicht mehr verrechnet wird; - nicht in kleinen Sünden und nicht in großen Sünden. Es kann dann nur als solches hingenommen werden.

Denn bei jeder wahren Berührung mit Gott erfährt der Mensch Vergebung, Erlösung und Bewahrung. Er fühlt sich getragen und von Gott begleitet. Gott schenkt ihm in seiner Gnade dann ein sehendes Auge, ein Auge welches den tieferen Sinn des Lebens erkennt. Ein Auge, das im Dunkel dieser Corona-Zeit den Weg erkennt, der vom Lichte Gottes beleuchtet wird, der uns aus Krise, Blindheit und auch Dummheit herausführt.  Doch alles nur darum, damit Gottes Werke offenbar werden. Denn der Herr „macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht“ (1.Samuel 2,7) nach seinem allmächtigen Willen. Diese Erkenntnis und nicht die Suche nach Kausalitäten verhilft uns aus der Blindheit zum Augenlicht, aus der Verhärtung in Rechthaberei zum erlösenden Wort und aus der Sünde zum Heil. Gott lässt uns jedoch hier in der irdischen Realität nicht allein, er begleitet uns. So werden Gottes Werke immer wieder, von Generation zu Generation offenbar.

Ob es dafür immer nur Behinderte geben muss ? Ja, doch, sie sind für unser Glaubensleben wertvoller, als wir denken. Denn sie bringen uns zur Einsicht, zur Hinsicht, zur Nachsicht und zur Vorsicht ! Mit viel Gottvertrauen lassen sich jedoch diese alle  „... Sichten“ bewältigen, denn er, Gott allein hält die Zügel dieser Welt in der Hand, mit allem, was da lebt und auch webt !

Amen.

Lied EG: 217,1-6