Altes Leben verlassen, um neues zu erreichen


Pfrn. Astrid Hofmann

Die schriftliche Predigt für den Sonntag Laetare, also den 14. März 2021, kommt aus dem Harbachtal: Pfarrerin Astrid Hofmann aus dem knapp zwanzig Gemeinden umfassenden Gemeindeverband Agnetheln hat uns ihre Gedanken zu Johannes 12, 24 gesendet.

Gott lässt uns etwas anderes wahrnehmen. Er lässt uns hindurchschauen durch das, was vor unseren Augen steht. Das gilt auch für den Spruch aus dem Johannesevangelium, der uns in dieser Woche begleitet: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.

Die israelische Schriftstellerin Zeruya Shalef beginnt einen ihrer Romane mit dem Tod einer Mutter, die sich ihrem Lebensende nähert und stirbt und damit ihre Tochter weiterleben lässt. Die Schriftstellerin erzählt von den elementaren Kräften zwischen Eltern und Kindern, von Wut, Enttäuschung und Sehnsucht, von Verletzungen und Liebe und davon, wie sich die Familienbande als stark und beständig erweisen. Die Tochter droht darin zu ersticken und indem sie und ihre Mutter sich loslassen können, beginnt die Tochter ihr eigenes Leben.
Jesus steht auf einem der Plätze in Jerusalem. Die Straßen und Gassen sind belebt. Ein Passahfest wird vorbereitet. Und viele Menschen wollen Jesus sehen. Inmitten der geschäftigen und fröhlichen Stimmung sagt ihnen Jesus dieses rätselhafte Wort. Es scheint überhaupt nicht in die Situation zu passen: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.“

Als Jesus in Jerusalem einzieht, schlägt ihm die Begeisterung der Menschen entgegen.

Sie haben große Erwartungen. Ihre Jubelrufe bezeugen es: „Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!“ rufen sie ihm zu. Sehnlich erwarten sie den Messias, der das Land und seine Menschen von der gehassten römischen Fremdherrschaft befreien soll. Das Volk leidet unter den überhöhten Steuern und ist voller Sehnsucht nach Erlösung. 

Die Anspannung ist zu spüren in Jerusalem vor diesem Passahfest. In diese Situation hinein kommt Jesus mit seinen Jüngern.  Nach der Auferweckung des Lazarus stand er schon auf seinem Weg dorthin im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und in der Heiligen Stadt angekommen, besteht die Gefahr, verhaftet zu werden. Jesu Tod ist längst beschlossen.

Menschen umringten ihn. Sogar eine kleine Gruppe Griechen bemüht sich darum, mit ihm sprechen zu dürfen. Sie sind weit gereist, um dem wundertätigen und wortmächtigen Rabbi aus der galiläischen Provinz zu begegnen. Endlich haben sie ihn gefunden im Gedränge des in diesen Tagen völlig überlaufenen Jerusalems. Philippus und Andreas helfen ihnen, an Jesus heranzutreten.

An sie ist sein Wort gerichtet: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.“

Das Weizenkorn bleibt, was es ist. Wenn es gut gelagert wird, verdirbt es nicht, bleibt erhalten, unversehrt und seine anhaltende Fruchtbarkeit ist legendär. Jahrzehnte können ihr nichts anhaben, im Einzelfall, so haben Archäologen berichtet, seien Körner noch nach Jahrhunderten keimfähig gewesen. Aber ein Weizenkorn, das nicht ausgesät wird, kann sein Potential nicht entfalten. Es kann nicht zeigen, dass ein Halm zwei bis drei Ähren trägt, in denen zusammen bis zu 120 Körnern reifen können.

Die Tochter aus dem Roman von Zeruya Sharev kann nach dem Tod ihrer Mutter, Verantwortung für sich selbst übernehmen. Sie trifft ihre eigenen Entscheidungen und begibt sich auf einen Weg der Selbstbestimmung.  
Jesus spricht über seinen nahen Tod, was seine Zuhörer missverstehen und sagt gleichzeitig etwas über die Nachfolge, über die Hingabe, über die Ausrichtung, die ein Leben haben kann. Für die Nachfolge gibt es keine Kompromisse. Sie kann nur ganz oder gar nicht erfolgen. Das alte Leben wird ganz verlassen werden müssen, um ein neues zu erreichen. Wer an seinem alten Leben hängt, sich umschaut, es schon im Weggehen vermisst, wird den Verlust empfinden. Wer sich auf das neue Leben einlassen kann, sich dafür entschieden hat, wird es erlangen.

Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein, wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht.

Amen.