Die Sachsen und die anderen. Interkulturalität in Siebenbürgen


Das Reiseleiterseminar von „Entdecke die Seele Siebenbürgens“ fand im Michelsberger Elimheim statt. (Bild: Siegmar Schmidt)

Auf Initiative des Projektes „Entdecke die Seele Siebenbürgens“ (EdSS), angeregt durch Pfr. Dr. Stefan Cosoroaba und in Zusammenarbeit mit dem Verband der Hermannstädter Reiseleiter „sibiuguides“, vertreten durch Mihai Hașegan, welcher die Organisation inne hatte, trafen sich am vergangenen Wochende, vom 14.-16. Dezember, zum vierten Mal, 27 Reiseleiter aus verschiedenen Landesteilen Rumäniens zu einem anregenden Seminar im winterlichen Michelsberg.

Nach der Unterbrigung der Gäste und dem Abendessen fand die Eröffnung der Tagung durch Dr. Stefan Cosoroabă statt. Da das Projekt EdSS unsere Kirchenburgen und die damit verbundene evangelisch-deutsche Spiritualität und Kultur im Mittelpunkt hat, begegnen die Reiseleiter und ihre Gäste beim Besuch unserer architektonischen Denkmäler nicht nur Steinmauern sondern auch Leben. Leben welches unseren Mauern eine Stimme gibt. Es ist wahr, die Stimmen werden immer weniger und schwächer! Darum brauchen unsere Stimmen Verstärkung! Und das können teilweise die Reiseleiter für uns übernehmen.

Zu diesen sächsischen Stimmen, zu dieser Personengruppe, zu dieser Ethnie, zu dieser Minderheit in Rumänien – zu den Sachsen, werden den Reiseleitern immer wieder Fragen gestellt. Unter anderem auch die Frage nach dem Verhältnis der Sachsen zu den anderen vielen Ethnien in Siebenbürgen. - Nun stellten sich alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen einzeln vor. Sie kamen aus dem Banat (Arad und Temeswar), die meisten aus Hermannstadt und Kronstadt, einige auch aus dem Szeklerland. Die wenigsten waren zum ersten Mal dabei.

Es folgte der erste Vortrag zum Thema: Die Kirche der Sachsen und die anderen deutschen Gemeinschaften, gehalten von Stefan Cosoroaba. Er stellte die Evangelische Kirche zur Zeit Großrumäniens vor und ging konzentriert auf alle anderen deutschen Volksgruppen ein, welche damals auf dem Gebiet siedelten. Es gab und gibt nicht nur Sachsen und Schwaben als Deutsche in Rumänien. Die Zusammensetzung ist reichhaltig.

Danach hielt Unterfertigter anhand eines Power-Point-Vortrages eines kurzen Überblick über die abgelaufene Besuchersaison des EdSS-Projektes. Die Besucherzahl ist im Vergleich zum Vorjahr um 9,23 % gestiegen, auf 759.467.

Am zweiten Seminartag fand der Vortrag von Dr. Vasile Ciobanu, emeritierter Soziologe am Geisteswissenschaftlichen Institut in Hermmannstadt, zum Thema “Die Sachen und die Rumänen” statt. Er ging auf das Thema der Kontinuität der Rumänen in Südsiebenbürgen – auf Königsboden – ein. Es sei unumstritten, daß Rumänen immer hier waren, erobert wurden und eine Zeit lang kaum eine Rolle im öffentlichen Leben gespielt haben. Gewichtig war insbesondere die Wirtschaftskraft der Sachsen, gegen die hier niemand aufkommen konnte. Gegen das straffe Zunftwesen mit seinen Regelungen hatten andere keine Chance. Das Verhältnis zwischen beiden Völkern war nicht immer einfach, glänzend. Am besten und fruchtbarsten hat es auf kultureller Ebene geklappt.

Den zweiten Vortrag dieses Tages hielt Pfr. Dr. András Bándi, Archivar im Zentralarchiv der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR), zum Thema ”Die Sachsen und die Ungarn”. Auch dieses Verhältnis war ein Auf und Ab. Bis 1462 waren die Sachsengrafen Ungarn. Erst danach konnten die Sachsen sich durchsetzten und Ihresgleichen ins höchste Amt einsetzten. Auch ging er auf die Tatsache ein, daß ein Drittel der Sachsen leibeigen waren, also ungarischen Adligen untertänig, und es langer Kämpfe gebraucht hat, bis auch sie die gleichen Rechte erlangten wie die Mehrheit der Sachsen. Ein anderes Thema war der Versuch der Rekatholisierung der Sachsen und dann die Übergriffigkeit der siebenbürgischen Fürsten und des ungarischen Adels gegenüber den freien Sachsen bis hin zu der agressiven Madjarisierungspolitik im 19. Jh.  u.v.a.m.

Am frühen Nachmittag gab es ein Info-Puzzel wo zwei Tourismusunternehmer ihre Projekte vorstellten. Heidrun König stellte das Teusch-Haus vor.

Der Höhepunkt des Seminars fand am Nachmittag statt. Es redete der aus Bukarest angereiste Soziologe Gelu Duminica über die Gemeinschaft der Roma in Rumänien. Sein Vortrag war äußerst lebendig, sachlich und humorvoll. Ganz gezielt führte er zum Thema der richtigen Bezeichnung dieser großen Volksgruppe “Zigeuner oder Roma?”. Im Wörterbuch der rumänischen Sprache von 1839 ist die Bezeichnung „roma“ zu finden mit der Bedeutung „Mensch“. Später kommt in vielen anderen Ausgaben immer häufiger die Bezeichnung „țigan“ vor, und zwar mit negativen Eigenschaften verbunden. Da stellt sich die Frage warum eine Ethnie nach ethnischen Kriterien beurteilt wird und so ettiketiert wird, obwohl soziales Verhalten nicht ethnisch bedingt ist. Die Vorurteile in der Gesellschaft sind tief verwurzelt.

Es wurde vergegenwärtigt, daß diese Ethnie von Anfang an auf rumänischem Boden versklavt war – fünfhundert Jahre Sklaverei! Seit der Gründung der Walachei als Fürstentum unter Vladislav Basarab. Sklaven der Fürsten, der Bojaren und der orthodoxen Klöster. Das feudale System der rumänischen Fürstentümer hat wirtschaftlich nur so bestehen können. 1856 hat es 250.000 entlassene Sklaven gegeben, welche alleine auf sich gestellt kaum zurecht kamen. So kam es auch zur Auswanderung einiger bis in die heutige USA. 1941 wurden laut offiziellen Angaben 25.000 Roma nach Transnistrien deportiert. Eigentlich waren es rund 70.000, da die Kinder nicht gezählt worden sind. - Der Vortrag war derart interessant und lebendig, daß der Referent kaum den Fragen aus der Hörerschaft nachkommen konnte.

Am späten Abend gab es die Gelegenheit, daß die Teilnehmer ihre touristischen Projekte vorstellen konnten, was einige gerne nutzten.

Sonntags fand morgens ein Podiumsgepräch statt. Moderator war Pfr. Dr. Stefan Cosoroabă. Eingeladen waren Vertreter dreier Ethnien Siebenbürgens welche zur Multikulturalität aus eigener Sicht Stellung nahmen. Es war die em. Soziologin Nadia Badrus, Mitglied der jüdischen Gemeinde Hermannstadts, Beatrice Ungar, Chefredakteurin der Hermannstädter Zeitung und evangelisches Gemeindeglied und Dr. Marius Crișan, orthodoxer Theologe und Mitarbeiter des ökumenischen Institutes in Hermannstadt. Die Gesprächsteilnehmer wurden vom Moderator aufgefordert ihre Sicht, ihre Wahrnehmung des jeweils anderen darzustellen. Das Podiumsgespräch war spannend und teils angespannt. Wir sind halt alle sehr verschieden ...!

Es folgte eine Einstimmung für den evangelischen Gottesdienst zum Dritten Advent seitens Pfr. Dr. Stefan Cosoroabă. Der Gottesdienst fand im Gemeinderaum der Michelsberger Kirchengemeinde, am Pfarrhof, in zwei Sprachen statt. Für die meisten Seminarteilnehmer war das eine erste und beeindruckende Erfahrung. Nach dem Gottesdienst fand der gemeinsame Besuch des erstmals von der evangelischen Kirchengemeinde vorbereiteten Weihnachtsmarktes statt. Der Schnee trug zur adventlichen Stimmung bei und der Glühwein war angebracht.

Nach dem gemeinsamen Mittagessen wurde das Seminar ofiziell beendet und alle Teilnehmer wurden mit dem Reisesegen entlassen. Bei der Verabschiedung war immer wieder zu hören was für ein besonderer Geist in diesen Tagen und an diesem Ort geherrscht habe und alle gerne auch ein nächstes Mal wieder kommen wollen um am hoffentlich fünften derartigen Seminar teilzunehmen.

Siegmar Schmidt, EdSS Mitarbeiter