Die neuen Nutzungskonzepte für die Kirchenburgenlandschaft


Philipp Harfmann (links) und Cristian Cismaru - der alte und der neue Geschäftsführer der Stiftung Kirchenburgen. Bild: Hans Königes

Mit interessanten Projekten und einem neuen Geschäftsführer startet die Stiftung Kirchenburgen neu durch. Ex-Geschäftsführer Philipp Harfmann und der Neue, Cristian Cismaru, ziehen Bilanz beziehungsweise berichten über die neuen Vorhaben unter veränderten Bedingungen.

 

Herr Harfmann, Sie haben voriges Frühjahr in der Stiftung Kirchenburgen als Geschäftsführer aufgehört. Wie sieht die Bilanz Ihres Engagements in Siebenbürgen aus?

Harfmann: Die Stiftung Kirchenburgen wurde 2015 gegründet und hat im Jahr 2016 ihre  Arbeit aufgenommen.  In den ersten Jahren der Stiftung war es wichtig, den Verfall der Kirchenburgen zu  stoppen. Dafür haben wir zum Beispiel das Dächerprogramm entwickelt. Grundsätzlich ging es neben dem Verfall auch um die Frage des langfristigen Erhalts und der weiteren Nutzung dieser Gebäude - etwa durch touristische und kulturelle Projekte.

Mit welchen Ideen sind Sie herangegangen?

Harfmann: Zunächst mal Folgendes: Es gibt fast keine Gemeinden mehr. Das heißt, die Frage der Nutzung ist eine Grundfrage. Wir wollten  aber auch die ursprüngliche Nutzung als Kirche, also als Gotteshaus, nicht in Frage stellen. Denn Fakt ist: Für den Kulturtourismus ist eine Kirche, die nicht mehr als Kirche zu erkennen ist,  langweilig oder unattraktiv.  Das heißt, es sollte schon noch eine geweihte Kirche oder eine nicht entwidmete Kirche sein, in der zum Beispiel ein Altar steht.  Uns ging es in den ersten Schritten um Nutzungserweiterungen.

Heißt konkret?

Harfmann: Was hinzufügen, was auch Geld einspielt – also eben Tourismus oder Kultur oder Sozialprojekte. 

Wie hat es funktioniert?

Harfmann: Die besondere Herausforderung bestand darin, dass wir kein Gründungskapital hatten, wie das ja für Stiftungen üblich ist. Wir starteten dann dennoch mit 20.000 Euro.  Einerseits mussten wir uns auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren, andererseits die Stiftung selber aufbauen, also den Kapitalstock anwachsen lassen,Wie weit konnte man mit dem Geld denn „springen“?

Harfmann: Wir haben an etwa 50 Kirchen gearbeitet, wobei es immer nur um Projekte ging, nicht Komplettsanierungen. Eine große Hilfe war für uns, als der Deutsche Bundestag im Jahre 2018 1,1 Millionen Euro für die Kirchenburgsanierungen genehmigte. Dieses Projekt haben wir dann 2023 abgeschlossen und im Früjahr 2024 bin ich dann zurückgetreten.

Wie lautet also das Fazit dieser „siebenbürgischen“ Jahre mit der Stiftung?

Harfmann: Ich bin in der Aufbauphase gekommen, sollte die Stiftung positionieren, Geld einwerben, Projekte durchführen, die Stiftung sich einen Namen machen. In dieser nächsten Phase kann die Stiftung nun darauf aufbauen und neue  Schwerpunkte setzen.

... mit Christian Cismaru, der am 1. Dezember 2024 seine Arbeit als Geschäftsführer der Stiftung aufgenommen hat.

Cismaru: Mir ist sehr wichtig, dass es neben der Reparatur der Kirchenburgen auch darum geht, diese Gebäude auch für die Entwicklung des ländlichen Raumes zu nutzen.

Zum Beispiel?

Cismaru: In Kirtsch wurden Gästezimmer in der Burg eingerichtet, um die sich die Dorfbewohner kümmern -  von der Reingung  bis hin zur Gästebetreuung, und verdienen damit ihr Geld. Das heißt, die Kirchenburg trägt dazu bei, das Dorf zu beleben und zu entwickeln. Wir wollen nun solche Projekte unter dem Motto FortiVacavtion, frei übersetzt: Urlaub in der Burg, fortsetzen.

Und das funktioniert?

Cismaru: Ok, im ersten Schritt sind es oft nur kleine Einkommen oder nur Zusatzeinkommen, aber die Perspektive ist doch, dass man die Kirchenburg nutzt als Instrument zur Einkommensdiversifizierung, zur ländlichen Entwicklung  weg von der reinen Monostruktur mit Landwirtschaft hin zu Kultur und Tourismus. Und das Gute dabei ist, dass die Investionen bei Weitem nicht so hoch sind, wie wenn zum Beispiel eine Produktionsanlage gebaut wird.

Werden sich die Schwerpunkte in dieser nächsten Phase also verschieben?

Cismaru: Ich beobachte,  dass viele der Bau-  und Denkmalpflegemaßnahmen nicht wirklich zu 100 Prozent ihr Ziel erreichen, wenn parallel nicht auch Gemeinschaft rund um die Kirchenburgen entsteht. Jetzt ist es so, dass die meisten Kirchenburgen überhaupt keine Gemeinschaft mehr haben, erst recht keine evangelische Gemeinde mehr. Meine Idee ist,  dass wir eine neuartige Belebung der Kirchenburgen versuchen.

Was ist damit gemeint?

Cismaru: Diese Belebung soll dann dazu führen, dass es neue  Interessentengruppen gibt, ich nenne sie  Stakeholder-Groups, die rund um die Kirchenburg entstehen. Es wird eine Mischung aus Menschen aus dem Dorf sein, aus neu Hinzugezogenen, inklusive dem Ausland,  und aus den Nachbarstädten.  Die Leute in den Städten sind heute viel mobiler als früher. Es werden Familien sein, die in diese Dörfer ziehen,  eventuell auch ehemalige Einwohner, die sich in den Heimatortsgemeinschaften (HOGs) engagieren. Wichtig ist aber auch, dass man über die Kirchenburg ein paar Einnahmen generieren muss, damit diese Leute sich um die Kirchenburg kümmern.

Wie sieht diese Belebung in der Praxis aus?

Cismaru: Ich versuche diese neue Belebung über touristische Veranstaltungen zu erreichen. Es kommen nämlich oft  Familien, die ihre Zukunft in so einem Dorf sehen. 

Von wo kommen diese Familien?

Cismaru: Die meisten Familien, die solche Veranstaltungen besuchen, stammen aus Rumänien - aus Großstädten wie Bukarest und Klausenburg. Sie suchen aktiv nach kleinen Dörfern, in denen sie viel ruhiger und viel näher an der Natur leben können als in der Großstadt. Aber sie brauchen auch einen Bezug zur Kirchenburg – als wichtigen Dorfmittelpunkt.

Wie gehen Sie an dieses Thema heran, um die Besucher, die Familien, für diese Orte zu begeistern?

Cismaru: Erstens, dass wir die Geschichte und das Potenzial der Kirchenburg erklären. Zweitens, dass wir die Dorfstruktur zeigen, wie dieses Dorf aussieht und wie es funktionieren kann.  Und drittens, dass wir ganz klar sagen, dass wir auch eine Beteiligung, ein Engagement, der Menschen vor Ort erwarten.

Auch finanziell?

Cismaru: Es ist so gedacht, dass bei allen Veranstaltungen die Besucher zusätzlich zu einem möglichen Eintritt schon mal fünf Euro für die jeweilige Kirchenburg spenden und  gesagt wird, was mit dem Geld geschieht, welche Arbeiten an der Kirchenburg vorgesehen sind. Ziel ist, das Interesse an der Kirchenburg zu wecken, um weitere Spenden einsammeln  zu können (neudeutsch Fundraising Kampagnen). Meine Hoffnung ist, nachdem wir mittlerweile 80 bis 90 Prozent rumänische Gäste haben, diese überzeugen zu können, für diese einmalige Kirchenburgenlandschaft zu spenden.

Das heißt, wirtschaftliche Aspekte müssen immer mitgedacht werden, wenn es um diese neue Nutzungskonzepte geht?

Cismaru: Nehmen wir das Beispiel eines Veranstalters, der immer mal wieder ein Jazzkonzert in so einem schönen Kirchenburg-Ambiente organisiert. Der weiß, dass seine Gäste dieses Ambiente sehr schätzen und gerne kommen – er muss für diese Nutzung zahlen.

Harfmann: Bis vor etwa 20 Jahren haben sich fast nur die Siebenbürger Sachsen für die Kirchenburgen interessiert.  Aber in den letzten 15 Jahren hat auch die rumänische Zivilgesellschaft die Kirchenburgen entdeckt, ist hier ein Interesse und Engagement für den Erhalt dieser Gebäude zu beobachten.

Cismaru: Die gute Nachricht ist, dass zunehmnd auch lokale Behörden den Wert der Kirchenburgen erkennen und auch NGOs (Nichtregierungsorganisationen), und feststellen, dass so ein Baudenkmal das ganze Dorf prägt und ein Motor für seine  Entwicklung sein kann.

Harfmann: Vor allem seit Corona, nachdem man nicht ins Ausland fahren durfte, haben die Rumänen die Kirchenburgen und die siebenbürgischen Landschaften entdeckt, wo man naturnahen Urlaub, authentisch sowie ohne Kitch und Inszenierung machen konnte.

Was erwartet also die Besucher in diesem Jahr?

Cismaru: Wir haben vier Kategorien von Veranstaltungen zusammengestellt.

Erstens setzen wir das schon seit 18 Jahren erfolgreich laufende Transilvanian-Brunch-Konzept fort, in dem in verschiedenen Kirchenburgen an einem Wochenende schön gespeist und auch gleichzeitig etwas Kultur und Geschichte vermittelt wird. 

Das zweite Format wendet sich an die etwas sportlicheren Gäste.  Es geht nämlich zum einen um eine Fahrradtour zwischen Heltau und Michelsberg und zum anderen um einen Lauf zwischen Birthälm und Tobsdorf. Und auch hier ist die Hauptidee, dass man sich für einen guten Zweck beteiligt, zum Beispiel geht es in Tobsdorf um die Reparatur des Kirchendaches, heißt konkret: Jeder Läufer finanziert zwei Ziegeln.

Die dritte Kategorie findet unter dem Titel „Heritage and Beyond“ statt. In Agnetheln werden wir im Sommer Märkte organisieren, in denen lokale Produzenten ausstellen, ihre Waren verkaufen, aber auch Workshops anbieten und zeigen, wie klassisches Handwerk läuft, zum Beispiel sächsische Hemdem nähen.

Und die vierte Kategorie ist ein reines touristisches Angebot. Es  sind Halbtagsausflüge, die wir in zehn Dörfer organisieren werden - mit professioneller Führung und einem zusätzlichen Programmpunkt, sei es einer Wanderung, einer gemeinsamen Kochaktion, Vogelbeobachtung.

Harfmann: Man muss bedenken, dass wir nicht nur  von Kirchen, sondern auch von Baudenkmälern sprechen. Die Experten  sprechen von alten und neuen Erben. Was meine ich damit? Die alten Erben, das sind die Siebenbürger Sachsen, die sind aber nicht mehr da. Jetzt gibt es neue Erben, also die aktuelle Dorfbevölkerung. Sie hat natürlich nicht die emotionale Bindung wie die Sachsen, sie muss erst langsam eine Verbindung zum Bauwerk aufbauen und sich engagieren. Dann wird es funktionieren...

Cismaru:... wobei ich um etwas Geduld bitten muss, denn ich rechne schon damit, dass so ein Wandel drei bis fünf Jahre braucht.

(Das Gespräch führte Hans Königes)