"Visionen wollen gelebt werden"


Pfarrerin Adriana Florea

Die Predigt zum ersten Sonntag nach Trinitatis kommt aus dem Burzenland. Adriana Florea, Pfarrerin in der Honterusgemeinde, hat uns ihre Geistlichen Gedanken vom Sonntag, 14. Juni 2020 - gehalten am Honterushof - für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt.

32 Die Menge der Gläubigen aber war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam. 33 Und mit großer Kraft bezeugten die Apostel die Auferstehung des Herrn Jesus, und große Gnade war bei ihnen allen. 34 Es war auch keiner unter ihnen, der Mangel hatte; denn wer von ihnen Äcker oder Häuser besaß, verkaufte sie und brachte das Geld für das Verkaufte 35 und legte es den Aposteln zu Füßen; und man gab einem jeden, was er nötig hatte.

36 Josef aber, der von den Aposteln Barnabas genannt wurde – das heißt übersetzt: Sohn des Trostes –, ein Levit, aus Zypern gebürtig, 37 der hatte einen Acker und verkaufte ihn und brachte das Geld und legte es den Aposteln zu Füßen. (Apostelgeschichte 4, 32-37)

Liebe Gemeinde,

es kann sein, dass sie in den vergangenen Wochen auch dazu gekommen sind, wie viele andere, endlich ihre ganzen Sachen zu ordnen und zu sortieren.  Ihre Kammer auszumisten. Im Kleiderschrank Ordnung zu machen. Sie haben vielleicht in den verschiedenen Schubladen aus dem Haus Dinge entdeckt, die sie längst nicht mehr brauchen. Schuhe entdeckt von denen sie nicht mehr wussten sie zu besitzen. Nachdem sie alles ausgeräumt hatten sind all diese Dinge, die sie nicht mehr brauchen, wo gelandet? In der Mülltone? Bei jemanden der sie noch gut gebrauchen könnte?

Im Predigttext heißt es die Menge der Gläubigen war ein Herz und eine Seele“ Es fällt schwer, diesen Satz als Realitätsbeschreibung zu verstehen. Bildete die Urkirche wirklich eine so vollkommene Gemeinschaft, in der sich alle verstanden haben, in der alles ganz harmonisch zuging, in der es weder Streit noch Neid gab? Oder ist dieser Idealzustand, von dem in der Apostelgeschichte berichtet wird, doch eher eine Illusion?

Erinnern Sie sich noch, bei welcher Gelegenheit Sie zuletzt den schönen Ausdruck „ein Herz und eine Seele“ verwendet haben? Vielleicht gute Freunde, die sich bestens verstehen und wenn sie auftreten dann sind sie ein Herz und eine Seele. Ein Ehepaar im Herbst des Lebens, das die Wechselfälle des Alltags miteinander gemeistert hat. Eine harmonische Familie, in der niemand sich aufspielt und jeder als Mensch geachtet und akzeptiert wird, so wie er ist. Unsere Sehnsucht richtet sich auf ein wohlgeordnetes Familienleben, ein Freundeskreis, in dem man sich getragen fühlt,  eine Gemeinde die mein Zuhause im Glauben ist, ein friedvolles Miteinander in Staat, Kirche und Gesellschaft.

Denken wir eine Weile darüber nach, so wird uns wohl deutlich, wie selten Menschen tatsächlich füreinander da und miteinander wahrhaft in herzlicher Freundschaft und aufrichtiger Liebe verbunden, wie selten Menschen „ein Herz und eine Seele“ sind. Dieser Idealzustand, von dem in der Apostelgeschichte berichtet wird, erscheint uns als ein Traum, der gerne Realität werden will.
Doch wenn wir weiterlesen im Predigttext, hat es etwas zu tun mit unserem Aufräumen in den vergangenen Wochen „auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.“ Stellen wir etwas fest.

Es geht also nicht darum, dass sie sich alle einig waren, und nie Streit oder Unstimmigkeiten unter ihnen herrschte. Sondern es geht vielmehr um Solidarität innerhalb einer Gemeinschaft.

Letzte Woche habe ich von einer Umfrage erfahren die in Rumänien von einem Statistikinstitut vor einigen Jahren durchgeführt wurde. Diese Studie sollte herausfinden welchen Heiligen die rumänische Bevölkerung an erster Stelle sieht. Zu meiner Überraschung hat Jesus nur den dritten Platz bekommen.  Laut dieser Umfrage: Arsenie Boca und Johannes der Täufer gehen in den Vorlieben der Menschen Jesus voraus.

Meine Hoffnung ist es, dass unsere Gemeinde nicht diese Umfrage bestätigt sondern ganz im Gegenteil, sichtbar macht was für eine Gemeinschaft wir sind.

Es sollte unser Anliegen sein, uns als eine Glaubensgemeinschaft zu verstehen, als Gemeinschaft in Christus. Und das trifft für uns in der Apostelgeschichte zu, die zu solidarischem Handeln und dem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit ermutigt. Die befreiende und verändernde Kraft des Heiligen Geistes wirkt sich im Leben der Gemeinden aus, das haben wir vor zwei Wochen zu Pfingsten erfahren. Die Botschaft Jesu wird sichtbar in der Art und Weise des Umgangs untereinander, im verantwortungsvollen Umgang mit Besitz sowie in der Unterstützung von Bedürftigen.

Ein Herz und eine Seele: Auch Lukas wusste wohl, dass die Realität anders aussah, und er weist mit dieser Redewendung die Adressatinnen und Adressaten der Apostelgeschichte auf eine ganz zentrale Botschaft des christlichen Glaubens hin: Ihr seid ein Herz und eine Seele im Glauben an Jesus Christus! Er ist das Zentrum des Glaubens, der Mittelpunkt der Gemeinde. Schaut auf das, was euch verbindet und richtet euer Tun an ihm aus.

Das heißt nicht, dass um des lieben Friedens Willen keiner mehr die eigene Meinung sagen darf, dass es nun keine Probleme mehr gibt oder dass alle in Harmonie miteinander leben.

Aber: Das Bewusstsein, im Glauben miteinander verbunden zu sein, bedeutet einen anderen Umgang untereinander zu praktizieren, einen Umgang, der andere ernst nimmt und respektiert; eine Gemeinschaft der Gläubigen, die immer wieder neu aufeinander zugeht.

„Ein Herz und eine Seele“ – sicherlich eher Vision oder Ideal als Wirklichkeit.

Aber Visionen wollen gelebt werden – denn sie sind Ausdruck der Sehnsucht nach der Fülle des Lebens für alle Menschen.

Und die Erfüllung dieser Vision ist die Wirklichkeit des Reiches Gottes unter den Menschen, das heute, hier und jetzt schon anbricht. - Amen.