"Diene gemäß deinen Gaben!"


Claudiu Riemer (Bild: zVg)

Der Dreizehnte Sonntag nach Trinitatis, also der 6. September 2020, ist Diakoniesonntag. Der entsprechende Predigttext ist im sechsten Kapitel der Apostelgeschichte zu finden. Claudiu Riemer, Student der evangelischen Theologie in Hermannstadt, hat uns für diesen Sonntag seine geistlichen Gedanken gesendet.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott den Vater und unserem Herrn Jesus Christus! Amen.

Wir lesen als Predigttext ein Wort aus der Apostelgeschichte im 6. Kapitel:

1In diesen Tagen aber, als in Jerusalem die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. 2Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir das Wort Gottes vernachlässigen und zu Tische dienen. 3Darum, liebe Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll Geistes und Weisheit sind, die wollen wir bestellen zu diesem Dienst. 4Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. 5Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und Heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Proselyten aus Antiochia. 6Diese stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten ihnen die Hände auf. 7Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.

Der Herr segne sein Wort an unseren Herzen!

Liebe Gemeinde,

der letzte Vers des heutigen Predigttextes hat eine besondere Bedeutung. Er markiert das Ende der ersten Etappe in der Apostelgeschichte: die Etappe, in welcher die Apostel in Jerusalem alles auf den Kopf gestellt haben, indem sie das Wort Jesu verkündigten. Diese Etappe zeigt die Probleme, mit denen die erste Gemeinde zu kämpfen hatte. „Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem.“ Apostelgeschichte 6, 7 macht deutlich, dass sie erfolgreich waren.

Der Predigttext von heute zeigt ein internes Problem, dem die Gemeinde begegnet. Obwohl es in der Urgemeinde eine Gütergemeinschaft gab und diese wenig finanzielle Probleme hatte, ergab sich ein Problem:

Die Gemeinde bestand aus unterschiedlichen Leuten. Der Kreis der Jünger um Jesus sprach Aramäisch, bestand aus Juden aus Palästina. Nun kamen viele Juden hinzu, die aus dem hellenistischen Sprachraum stammten.

Sie verstanden also kein Aramäisch, sondern sprachen Griechisch.

Nichtsdestotrotz handelt es sich in beiden Fällen um Juden.
An Pfingsten waren Juden aus der ganzen Welt in Jerusalem. Da kam Petrus, predigte und viele bekehrten sich. Was nun? Dableiben oder wieder nach Hause gehen? Offensichtlich sind viele geblieben. Man konnte nur in Jerusalem die Predigten der Apostel hören. Damals gab es kein Facebook oder YouTube. Sie sind geblieben und es wurden immer mehr Jünger und langsam ergab sich das Problem.

Die Einheimischen, die hebräischen Juden, kannten sich aus und ihre Witwen wurden beim Verteilen des Essens gut versorgt. Anders sah es bei den Fremden aus, den griechischen Juden. Man wollte nur für eine kurze Zeit bleiben, war irgendwo untergebracht, kannte sich nicht so gut aus und da ergab es sich, dass ihre Witwen übersehen wurden. Stellen wir uns kurz die Situation vor Ort vor: Es erfolgte die Essensverteilung, die Jünger fragten nach, wo die Witwen sind, die versorgt werden sollen, sie versuchten alle zu versorgen, aber irgendwie funktionierte es nicht so richtig gut und einige wurden übersehen. Wahrscheinlich waren es zu viele, die versorgt werden wollten, und zu wenige, die versorgten.

Es entstand ein Murren, denn obwohl es genug Essen gab, kam es leider nicht zu den Bedürftigen.

Letzte Woche fand die Singwoche in Seligstadt statt. Da wurde nicht gemurrt, aber es wurde viel „gesummt“. Wir probten unter anderem das Musical „Vom Teilen und andere Grundrechenarten“ von Siegfried Fietz. Im Hauptlied des Musicals, welches mehrmals wiederholt wurde, steht geschrieben: „Aus Menschen sind Ziffern geworden. Als Ergebnisse werden Produkte genannt. Vergessen sind die Faktoren. Was zählt ist die Summe und doch in der Menge ist kein einziges Element doppelt.“

„Was zählt ist die Summe und beim Teilen entstehen Brüche!“, heißt es weiter im Lied. Es zählt die Summe und die Summe der Jünger und Jüngerinnen nahm schnell zu. Der Job der Apostel ist beten und lehren. Diesen Job haben sie hervorragend durchgeführt, aber beim Teilen entstanden manche Brüche.
„Es ist nicht okay, wenn wir das ganze Essenszeug auch noch verteilen sollen, anstatt von Gott zu erzählen, was ja eigentlich unsere Aufgabe ist“, dachten sich die Jünger. Man könnte meinen, dass sie sich jetzt weigern noch so einen Job wie „zu Tische dienen’’ durchzuführen. Sie wollen lieber schöne Worte machen, beten anstatt arbeiten.

Falsch! Was hier passiert, ist Folgendes: Die Apostel, also die Leitung der Gemeinde, nehmen das Problem zur Kenntnis. Sie beschreiben das Problem, skizzieren die Lösung und die Gemeinde setzt den Auftrag um. Das ist schon mal gutes Management!

Die Leitung sagt: „Lasst uns diesen Job übergeben. Sucht nach sieben Personen, die sich für diese Aufgabe zur Verfügung stellen. Die sollen das dann regeln.“ Und die Gemeinde merkt, dass das ein guter Vorschlag ist und setzt ihn um.

„Diakonein’’ bezeichnet im Griechischen die Hausarbeit von freien Frauen, Sklavinnen und Sklaven. Arbeit, die ein freier Mann niemals tun würde. Arbeit also, die wir mit Gott nicht in Verbindung bringen. Jesus überschritt diese Grenze, diese „Hausarbeitsgrenze“, wenn er Menschen die Füße wusch, Kranke berührte und bei Tisch diente. An ihm sehen wir, wie das Evangelium Menschen aufrichtet und ihnen Würde gibt. Beten, lehren und dienen sind gleichwürdig! Gottesdienstpraxis und diakonisches Handeln der Gemeinde müssen als Gesamtsystem betrachtet werden. In unserer heutigen Zeit müssten sich die Zwölf und die Sieben aus unserer Geschichte an einen Tisch setzen und die anstehenden Probleme gemeinsam lösen.

Dabei gilt für jeden in der Gemeinde Folgendes: Diene gemäß deinen Gaben! Bring dich ein und tu das, was zu dir passt. Gemeinde wird in der Bibel als ein Körper, ein Leib gedacht. Jeder hat seine Aufgabe! Und dazu gehört auch, dass ich Nein sagen kann. Nein, das ist nicht meine Aufgabe, nicht mein Platz! In der Praxis schwieriger als es sich anhört, aber das Vorbild der Apostel sollte uns motivieren, darüber nachzudenken, was mein Job ist. Welche sind meine Gaben und wie kann ich gemäß meinen Gaben dienen?!

Jeder von uns hat sich wenigstens einmal im Leben, diese oder eine ähnliche Frage gestellt und wird sie sich auch wieder stellen. Auf welche Antworten wir kamen und welche Entschlüsse daraus gezogen worden sind oder werden, das weiß jeder nur selbst. Wir werden auch in Zukunft von solchen Fragen nicht verschont werden. Der gnädige Gott helfe uns, dass wir dabei die für ihn und uns richtigen Antworten geben.

Amen!