Wie alles in Siebenbürgen begann


24 Autoren haben sich zu unterschiedlichsten Themen des siebenbürgischen geistigen und geistlichen Lebens geäußert.

Am 15. Oktober, 17 Uhr,  findet im Brukenthal-Palais eine Buchvorstellung statt. „Initia Reformationis Transsilvaniae. Vielfalt, Aufbrüche, Rezeptionsräume in der Frühen Neuzeit“, ist der Titel eines umfangreichen Werkes herausgegeben von Professor Ulrich A. Wien, der an der Buchvorstellung auch anwesend sein wird.

Der Band bemüht sich sowohl flächendeckend über die Anfänge der reformatorischen Bewegung zu informieren, als auch den neuesten Stand der diesbezüglichen interdisziplinären Forschung (Geschichte, Theologie, Literaturgeschichte, Kunstgeschichte) zu präsentieren und ist dadurch ein wertvoller Beitrag der Erforschung der Reformationsgeschichte in Mittel- und Osteuropa.

Der Band dokumentiert die von Ulrich A. Wien und Renate Klein federführend organisierte Kooperationstagung „Grenzen überschreiten“, die aus Anlass des 70. Gründungsjubiläums des Theologischen Instituts veranstaltet und von der Hasso-Plattner-Stiftung wesentlich mitfinanziert worden war. Jetzt erscheinen 24 Beiträge von international ausgewiesenen Expertinnen und Forscher im 539-seitigen Band beim Verlag de Gruyter. Das Buch kostet 69,95 Euro, ist aber auch als Openacces-Veröffentlichung weltweit kostenlos digital von der Verlagsplattform herunterzuladen.

Dr. András Bándi, Dozent an der Lucian-Blaga-Universität Sibiu/Hermannstadt,  hat einen ersten Blick ins Buch geworfen und schreibt, mit welchen Themen sich die Autoren auseinandersetzen:

Ulrich A. Wien behandelt in der Einleitung das Thema: „Siebenbürgen als Rezeptionsraum reformatorischer Theologie in der Überlappungszone von West- und Ostkirche“ (1-20)  und bietet eine Einführung in die politische und kirchliche Entwicklungen in Siebenbürgen zur Zeit der Reformation, wie auch kurze Zusammenfassungen der enthaltenen Beiträge.

Wien untersucht in einem weiteren Beitrag „Frühe Wahrnehmung der Reformation in Siebenbürgen“ (21-46) die Rezeption der Reformation in Siebenbürgen in den Jahren 1520-1542 und stellt dabei fest, dass nach einem zögernden Anfang die einheimische Kirchenreform enorm an Dynamik gewonnen hatte.

Der Beitrag von Mária Pakucs-Willcocks „The Honterian Reformation and Its Influence on Transylvanian Town Magistrates“ (47-64) hebt die Art und Weise hervor, wie die bedeutendsten siebenbürgisch-sächsischen Städte (Hermannstadt, Kronstadt und Bistritz) in ihren Statuten die theologische Sprache in eine politische umsetzten, um dadurch die Reformation in die Universitas Saxonum einzuführen.

Adinel Ciprian Dincă behauptet in „Die Prädikatur in der siebenbürgisch-sächsischen Pfarrkirche vor der Reformation. Quellenauswertung und lokale Zusammenhänge“ (65-98), dass die Observanzbewegungen und die Durchsetzung der Institution der Pfarrerei Ende des 14. und im Laufe des 15. Jahrhunderts dazu geführt haben, dass die Kanzelreden der siebenbürgisch-sächsischen Geistlichen auf hohem theologischen und geistigen Niveau ausgearbeitet werden konnten.

Johannes Ehmann in „Osmanen vor der Tür – Johannes Honterus’ Position vor dem Hintergrund der „Türkenschriften“ im 16. Jahrhundert“ (99-110) stellt das bewusste Fehlen der antiosmanischen Polemik in den Schriften Johannes Honterus’  heraus. Der "Türke" vor der Tür bot auch Schutz gegen die gegenreformatorischen Absichten der Habsburger.

Armin Kohnle in „Von Wittenberg und Nürnberg nach Kronstadt: Die Kirchenordnung von 1543/47 vor dem Hintergrund ihrer Wurzeln“ (111-130) spricht sich noch einmal dafür aus, dass Johannes Honterus nicht von der schweizerischen Reformation, sondern von Wittenberg beeinflusst worden war und auch so nicht ausschließlich von Martin Luther, sondern auch von Philipp Melanchthon.

Johannes Schilling identifiziert in „Johannes Honterus und die reformatorische Musikkultur“ (131-160) die Quellen der "Odae" des Johannes Honterus und behandelt sie im Kontext der Auffassung von Musik bei Martin Luther und Philipp Melanchthon.

Volker Leppin vergleicht in „Die Entstehung des Reformatorenbildes: Luther und Honterus im Vergleich“ (161-176) das Lutherbild der vergangenen Jahrhunderte mit dem des Johanes Honterus und stellt dabei fest, dass Honterus' Bild mit dem Profil der siebenbürgischen Reformation als Bildungsereignis übereinstimmt.

Susanne Schenk untersucht in „Von Rossen und Wagen. Das Verhältnis von Stadt und Land in der Ulmer Reformation“ (177-198) die Einführung der Reformation in der Stadt Ulm und Umgebung.

Szabó András Péter geht in „Stabilität und Wandel. Lehren aus der Bistritzer Reformation“ (199-274) auf sämtliche Aspekte (politisch, kirchlich, bildungsgeschichtlich, materiell usw.) der Einführung der Reformation in Bistritz ein, die als sofortige Antwort auf die Ereignisse in Kronstadt 1542-1544 erfolgten. Ab 1548 wurde die Reformation auch in den Bistritzer Distrikt eingeführt. Der Glaubenswechsel bewahrte jedoch die organisatorische Stabilität der lokalen und regionalen Kirchenstruktur.

August Schuller behandelt in „Stadtreformation in Schäßburg und ihre sozialgeschichtlichen Folgewirkungen“ (275-284) die Folgen der Reformation in Schäßburg v.a. aus der Sicht der Selbstverwaltung und der Stadtautonomie.

Hermann Pitters † untersucht in „Die Durchsetzung der Reformation in Kronstadt und innerhalb der Sächsischen Nationsuniversität“ (285-198) die Vorbildfunktion Kronstadts in der Einführung der Reformation in die Städte und Dörfer der Sächsischen Nationsuniversität.

Karl W. Schwarz würdigt in „Paul Wiener (1495–1554). Eine Brücke zwischen Laibach, Wien und Hermannstadt“ (299-314) die Rolle des Krainer Exulanten im Zuge der Rezeption der Wittenberger Theologie in Siebenbürgen.

Kenneth G. Appolds „Die „Ausstrahlung“ Wittenbergs auf den europäischen Südosten“ (315-324) beleuchtet die Eigenart der Reformation in Ungarn und Siebenbürgen im Lichte der Wirkung Martin Luthers in Wittenberg.

Zoltán Csepregi vergleicht in „Die reformatorischen Bekenntnisse in Ungarn und Siebenbürgen“ (1545–1572) (325-348) die grundlegenden reformatorischen Bekenntnisse in Ungarn und Siebenbürgen miteinander und misst dabei ab, inwieweit diese von denen aus dem HRR abhängig waren.

Christine Mundhenk behandelt in „Philipp Melanchthons Beziehungen zu Ungarn und Siebenbürgen“ im Spiegel von Netzwerken und Korrespondenzen (349-364) die Bemühung des großen deutschen Reformators um mit den Ereignissen aus Ungarn am laufenden zu bleiben, wie auch um die ungarischen Studenten in Wittenberg.

Frank Krauss untersucht in „Zwischen Produktion und Rezeption: Ergebnisse zur Forschung über die konfessionelle Entwicklung der Siebenbürgen Sachsen auf Basis von Druckerzeugnissen und Bucherbschaften“ (365-386) anhand des Buchbesitzes der Geistlichkeit die Lutheranisierung der Birthälmer Superintendentur.

Robert Kolb unternimmt in „Kurshalten im Konflikt: Die an Wittenberg orientierten Siebenbürger Bekenntnisschriften und ihre Begutachtung an deutschen Universitäten“ (387-404) eine Untersuchung der siebenbürgischen Bekenntnisschriften von ihrer Terminologie her und stellt fest, dass die Erklärungen zur Realpräsenz Jesu Christi in den Elementen des Abendmahls den Formulierungen, Martin Luthers, Philipp Melanchthons und Johannes Bugenhagens folgt.

Irene Dingel befasst sich in „Das Corpus Doctrinae Philippicum und seine Nachwirkung“ (405-422) mit der Wirkungsgeschichte des CDPh und stellt fest, dass es im HRR vom Konkordienwerk verdrängt wurde. Anders in Siebenbürgen, wo man es sich zu bewahren bemühte, da man sich gegenüber den Reformierten und Gnesiolutheranern abgrenzen wollte und an der vorkonfessionellen Wittenberger Theologie festhielt.

Paul Brusanowski unternimmt in „Liturgische Revolution: Die Rumänisierung des Gottesdienstes in der rumänisch- orthodoxen Kirche im Kontext des siebenbürgischen Protestantismus und der antigriechischen Bewegungen in den Donaufürstentümern“ (423-460) eine Recherche der Umstände, die dazu geführt haben, dass in den rumänisch-orthodoxen Kirchen Siebenbürgens relativ früh das Rumänische als Liturgiesprache eingeführt wurde.

Dorothea Wendebourg bietet in „Gesprächsangebote oder Bekehrung? Ziel und Zweck der Kontaktaufnahmen zwischen Reformatoren und ostkirchlicher Orthodoxie“ (461-474) eine kritische Würdigung der reformatorisch-orthodoxen Kontakte im 16. Jahrhundert und stellt dabei heraus, dass die Reformatoren die "Griechen" teils falsch eingeschätzt haben, teils für ihre Polemik gegen Rom zu instrumentalisieren beabsichtigten.

Edit Szegedis Interesse wendet sich in „Nationen und Konfessionen im Fürstentum Siebenbürgen. Überlegungen zur Rekonstruktion der konfessionellen Hierarchie im 16.-17. Jh.“ (475-500) der Rangstellung aller Glaubensgemeinschaften in Siebenbürgen zu. Ganz oben waren die Calvinisten geortet. Ihnen folgten die Lutheraner, Katholiken und die Antitrinitarier. Die rumänische Orthodoxie nahm eine Sonderstellung ein.

Mihály Balázs und Gizella Keserű zeigen in „Kühne nonadorantistische Pioniere der Bibelexegese. Die siebenbürgischen Antitrinitarier und die europäische Bibelwissenschaft in der Frühen Neuzeit“ (501-528) mit einem beeindruckenden Gespür für literarische Rezeptionsgeschichte, wie die Einsichten einer, von der bisherigen Forschung ignorierten antitrinitarischen Richtung auf das Verständnis und den Stellenwert der Hl. Schrift in Europa quer über die Konfessionen und Nationen auswirkte und dadurch zur Entwicklung der späteren historisch-kritischen Exegese beitrug.

Der Band bemüht sich sowohl flächendeckend über die Anfänge der reformatorischen Bewegung zu informieren, als auch den neuesten Stand der diesbezüglichen interdisziplinären Forschung (Geschichte, Theologie, Literaturgeschichte, Kunstgeschichte) zu präsentieren und ist dadurch ein wertvoller Beitrag der Erforschung der Reformationsgeschichte in Mittel- und Osteuropa.

Initia Reformationis Transsilvaniae. Vielfalt, Aufbrüche, Rezeptionsräume in der Frühen Neuzeit. Herausgegeben von Ulrich A. Wien, Walter de Gruyter, Berlin/Boston, 2025, 541 S. (Studies of Early Modern Christianity in Central Europe, herausgegeben von Angela Ilić, Zsombor Tóth und Ulrich A. Wien, Band 2)