Über Loslassen zur Zuversicht


Pfr. Kurt Boltres

Zum Jahreswechsel 2020/2021 hat uns Pfarrer Kurt Boltres (Rosenau, Honigberg) aus dem Burzenland eine schriftliche Andacht zur Verfügung gestellt. Gemeinsam mit dem Geistlichen Wort aus dem Kronstädter Kirchenbezirk wünschen auch wir allen ein gesegnetes neues Jahr!

Gebet:

Barmherziger Gott, himmlischer Vater, du bist der Herr aller Zeit und willst uns jetzt schon für deine Ewigkeit bereiten. Doch unsere Tage fahren schneller dahin, als wir es empfinden. Sie kommen und gehen, gleich dem Gras auf der Wiese und den Worten, die aus einem leeren Geschwätz hervorgehen. Wir bitten dich, noch ehe die Sonne uns verlässt: mache uns frei von dem alten Wesen, von der alten Schuld und der alten Gesinnung. Gib uns die Kraft loszulassen von dem, was uns festhält und nimm alle Angst von unsern Herzen. Herr, erbarme dich unser. Amen.

Das Wort der Bibel zur heiligen Nacht: 2. Mose 13,20-22

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste.
Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Gemeinde,

als ich ein zweites Mal die Fogarascher Berge bestieg, das war wohl in meiner 11. Klasse, da kam ich zum höchsten Gipfel, dem Moldoveanu-Gipfel, der mit seinen 2.554 m auf der südlichen Seite der Gebirgskette der Karpaten liegt. Man muss einen kleinen Umweg machen, wenn man eine Kammwanderung auf diesem Gebirge macht. Der Aufstieg war schwer und verlangte Ausdauer. Es war ein längerer Tagesmarsch. Jedoch als ich oben am Gipfel stand, da breitete sich ein herrliches Panorama vor mir aus. Ein klarer Himmel ließ uns bis weit hinein ins Altreich (Regat) blicken und wir vermuteten am Ende des Horizontes sogar die Donau zu erblicken. Der Aufstieg, die Mühe und der Schweiß hatten sich also gelohnt. Unsere Gruppe verweilte noch eine Stunde oben am Gipfel, um diesen Ausblick zu genießen. Ein weites, offenes Land lag vor uns und verlangte entdeckt und erobert zu werden. Der Abstieg zurück in den siebenbürgischen Teil der Südkarpaten, war noch schwerer, denn es ging in die Nacht hinein, wo wir schließlich arg verspätet, endlich die Hütte erreichten.

Heute stehen wir auch an einem Abschnitt. Zwar haben wir keine Gipfel erstürmt und hatten auch kein besonderes Gipfelerlebnis. Wir haben eher eine Rückschlag durch diese Corona-Krise erlebt. Maske, Distanz halten, Vorsicht und Desinfektionsmittel bestimmen diesen Übergang zum Neuen Jahr. Doch zu Mitternacht geht ein Kalenderjahr zu Ende und etwas vollkommen Neues breitet sich vor uns auf, mit viel Raum für Veränderungen. Es ist gut, dass es diese Einschnitte gibt, die das Leben unterbrechen. Denn wir brauchen den Rhythmus der Wochen, der Monate und Jahre, welcher eigentlich erst dadurch entsteht, dass es Unterbrechungen gibt. Diese Unterbrechungen helfen mir, dem Gewohnten nicht verhaftet zu bleiben, was Routine werden kann. Sie helfen mir, mich zu lösen und mich dem Neuem zu öffnen. Es tut also gut, dass das alte Jahr heute zu Ende gehen darf und ab Mitternacht etwas Neues wachsen und entstehen kann. Übergänge sind für uns Menschen wichtig. Sie geben diesem Leben Struktur. In diesem Auf und Ab, dem Hin und Her von Alt und Neu kann ich das, was war, loslassen und mich dem, was kommt, erwartungsvoll öffnen.

Jedoch diese Unterbrechungen sind oft auch Gesetz, dem wir uns beugen müssen. Sie sind hart, wenn etwas unvollendet zum Abbruch kommt. Sie sind beinahe unerträglich, wenn plötzliche Ratlosigkeit auftritt. Sie sind erschreckend wenn man gerade unerwartet erschöpft zusammenbricht. Sie wirken tödlich, wenn die Zeit für einen Übergang nicht da ist. Dann ist der Zauber des Anfangs weg. Denn das Loslassen braucht seine Zeit.

So stehen  wir heute hier und nehmen uns Zeit zum Loslassen. Wir nehmen uns Zeit um bis Mitternacht loszulassen, was in unserer heutigen Reflexion sichtbar wird.

Wir lassen beispielsweise die Sorge los, die wir um die Kirchenburg, das Pfarrhaus und die anderen Gebäude in diesem verflossenen Jahr hatten. Der eine Teil ist renoviert worden und der andere Teil einer neuen Bestimmung zugeführt. Wir lassen auch die Sorge um den Friedhof los, den wir trotz Krise bestens verwaltet haben. Wir lassen die paar möglichen Festlichkeiten dieses Jahres los in denen wir Gemeinschaft miteinander haben durften. Wir lassen alle zugelassenen kirchlichen und weltlichen Ereignisse los, die unser Leben mitbestimmt haben. Und nicht zuletzt lassen wir auch Vorkommnisse in der eigenen Familie los. Manche waren höchst erfreulich für uns, andere haben unser Leben beschattet. Manche fanden hier in unserer Nähe statt und wir durften daran Anteil haben, andere fanden in der Fremde statt, dort wohin unsere Anverwandten, Freunde und Bekannten hingezogen sind und wir nicht dabei sein konnten. Auch diese Ereignisse fordern von uns ein Loslassen.
In derselben Situation befand sich auch das Volk Israel, als es kurz vor seiner Flucht aus Ägypten stand. Der Pharao hatte das Volk nicht wegziehen lassen.

Gewaltige Plagen schickte Gott, der Herr, über die Ägypter; - 12 an der Zahl. Die letzte war die Schlimmste. Der Todesengel zog durch alle Straßen und Städte und tötete alle Erstgeborenen im Land. Nur den Israeliten, die ihre Türpfosten mit Opferblut bestrichen hatten, tat er nichts. Dann erst ließ der Pharao das Volk wegziehen. Und Hals über Kopf entflohen sie der schweren Knechtschaft. Sie hatten kaum Zeit loszulassen. Sie hatten kaum Zeit Abschied zu nehmen von Haus, Hof, Gemeinschaft, Freunden und allem, was das Land Gosen ihnen zu bieten hatte. Im Laufe der Jahrhunderte war aus ihrer Freiheit, eine Teilfreiheit und dann eine Knechtschaft  geworden. Oft haben wir in letzter Zeit unsere siebenbürgische Geschichte mit dem langjährigen Aufenthalt des Volkes Israel in Ägypten verglichen, wo es dann in die große Freiheit des Westens ging. Abschied, Loslassen, Zurücklassen, schmerzhafte Trennung und dennoch Gottes Geleit.

So hatte ja vor diesem Aufbruch in das neue Land Gott, der Herr, dem Volk Israel noch seinen Beistand verheißen. Und Mose hatte diese zuversichtliche Botschaft weiter gegeben, er hatte sie dem bedrückten Volk verkündet. Tag und Nacht wollte Gott das Volk begleiten, am Tag sichtbar in der Wolke und in der Nacht sichtbar in einer Feuersäule. Und Gott hatte sein Versprechen gehalten. Das sollte auch die Richtung ihrer neuen Wanderung in die Verheißung Gottes sein, in das neue Land.

Welches wird nun die Richtung unserer neuen Wanderung durch das Jahr 2021 sein? Wird es nach den Erfahrungen von 2020 eine verheißunsvolle Richtung für uns geben? Wird die steigende Agst von uns weichen? Oder wird Covid-19 uns weiterhin knebeln? Werden wir uns etwa noch erholen können?

Ich kann mich gut erinnern, dass wir Jungen, ja wir Lausbuben, meinem Großvater die gehüteten Bleirohre aus der Werkstatt nahmen. Sie wurden für die Ausbesserung der alten Wasserleitung gebraucht. Wir klopften sie zu kleinen Bleistücken zusammen, schmolzen sie und gossen nebenbei auch Zinnfiguren. Aber in der Silvesternacht schütteten wir das geschmolzene Blei in kaltes Wasser. Dann rätselten wir aus diesem Gebilde, das da entstand, an der kommenden Zeit herum. Gutes und Schlechtes konnte man, in reger Phantasie heraus lesen, genauso wie es die älteren Generationen mit dem Kaffeesatz taten, oder den 12 Zwiebelschalen, die das Wetter der folgenden Monate für den Bauern bestimmen sollten.  Kartenlegen und Horoskope war zu meiner Zeit noch nicht Mode, obwohl schon weltweit bekannt.

Jedoch ich denke, keine dieser alten Vorhersagen kann uns helfen unser Schicksal zu bestimmen und keine dieser Weissagungen darf uns beeinflussen. Denn unser Lebensweg ist bereits vorherbestimmt worden und lag schon bei unserer Geburt fest. Was jedoch noch nicht festgelegt war, das sollte die Rolle Gottes sein. Erst bei unserer Taufe hat sich Gott, der Herr, unser angenommen und seither steht es fest, dass er uns auf unserem Lebensweg begleitet, und zwa: alle Tage, bis an der Welt Ende.

Dieses Geleit Gottes, der verheißen hat treu zu sein in seiner Gnadenzuwendung, steht fest und kommt zu keinem Abschluss. Es ist kontinuierlich. Es geht über von einem Jahr zum anderen und zum Nächsten und Übernächsten sogar, und so weiter, soweit mein Leben nach Gottes Gnaden reicht. Es verbindet einen Lebensabschnitt mit dem anderen. In dieser Zusage Gottes gibt es keinen Abschluss und keinen Neuanfang. Es gibt nämlich die Verheißung, die selbst über den Tod hinweg zum ewigen Leben, in alle Ewigkeit, führt. Dies alles verdanken wir unserm Heiland Jesus Christis, dem Sohn Gottes.

Das will uns auch der heutige Bibeltext sagen. Von allen irdischen Erinnerungen und Augenblicken müssen wir loslassen um uns dem neuen Jahr zuzuwenden. Wir müssen uns von dem Vergangenen loslassen und zuversichtlich dem Neuen entgegenblicken. Aber nie von dem Segen Gottes. Denn dieser Segen wird uns auch im neuen Jahr begleiten, im Guten, wie im Bösen, bis an unser Ende.

Unser Gottvertrauen allein bestätigt solches. Unser zuversichtlicher Glauben, unsere Hoffnung und das Gottvertraun hilft uns diesen Übergang in Neue Jahr zu meistern. Und es wird gut sein, diesen Abschied vom alten Jahr in das Neue Jahr im Lichte Gotes zu erleben. Amen.

Gebet:

Bleibe bei uns Herr, denn der Tag neigt sich. Es kommt der Abend des Tages, der Abend des Jahres, der Abend des Lebens und sogar der Abend der Welt. Bleibe bei uns mit deiner Gnade und Güte, mit deinem tröstenden und erbauenden Wort, sowie deinem heiligen Sakrament. Bleibe bei uns mit deinem friedvollen Segen. Bleibe bei uns, wenn über uns kommt die Nacht des Zweifels, die Nacht der Anfechtung und die Nacht des bitteren Todes. Bleibe bei deiner Kirche und seinen Gläubigen in Zeit und in Ewigkeit.

Wir bitten dich in dieser letzten Stunde des Jahres um die Kraft all das loszulassen, was uns hindert das Heil in dir zu suchen. Gib uns die Kraft für einen klaren Blick für das, was uns erwartet. Gib uns die Kraft alle Ängste des vergangenen Jahres zurück zu lassen. Gib uns die Kraft uns demütig unserm Schicksal zu beugen. Gib uns aber auch die Kraft zur Vergebund und zu verzeihen, auch zu vergessen, wenn wir am Nächsten gefehlt haben. Gib uns die Kraft für tröstende und erbauende Worte, die wir unseren Armen, Kranken, Notleidenden und Verzweifelten geben können. Lass Friede sein zwischen Alt und Jung. Gib deinen Segen allen Eheleuten und stelle uns alle unter deinen Schutz und deinen Frieden. Was uns von Dir scheiden will, möge jetzt verblassen. Deine Engel mögen uns behüten und bewahren.

Dieses verflossene Corona-Jahr war voller Bangen, voller innerer Not und Ängste. Wir wissen auch nicht, was dieser neue Impfstoff gegen die Krankheit bringen wird. Doch volle Sicherheit haben wir nur im Glauben an dich, der du ewiger Herr bist über Leben und Tod, über Freude und Leid, über Unfrieden und Segen.

Wir bitten dich, sei auch der Herr des neuen Jahres. Segne die Zeit, die du uns noch gibst nd rüste uns aus für deinen großen Tag.

In der Stille denken wir vor Dir auch an alle unsere Freunde, Bekanten und Verwandten in der Nähe und in der Ferne. Beschütze sie auch weiterhin nach deiner großen Güte. In der Stille nenne wir ihre Namen und bitten dich, erhöre unser Gebet.