Große und kleine Helden


Am Jungscharlager 2022 im Glăjerie-Tal bei Rosenau haben fast hundert Kinder teilgenommen (Bild: M. Braisch)

Einem bewusst nicht ganz eindeutigen Thema widmeten sich die Leiter des Jugendwerks als Initiatoren, sowie 38 Mitarbeiter/Helfer und 90 Kinder beim diesjährigen Jungscharlager, das vom 26. Juni bis zum 2. Juli im Glăjerie-Tal bei Rosenau, unterhalb des Bucegi-Gebirges stattfand. Leitfigur war der König David, Licht und Schatten, Tapferkeit und Unvollkommenheit kamen gleichermaßen zum Zug.

Können 9 bis 12-jährige Kinder Helden sein? Sollen sie? Wollen sie es überhaupt? Eltern zeigten sich in der Vorbereitungsphase eher unreflektiert und vielleicht doch etwas unüberzeugt gegenüber dieser Fragestellung, die aber durchaus aktuellen Herausforderungen entsprungen ist: dem Druck zur Beeindruckung, wie er aus massigen Medien und virtuellen Vorbildfabriken auf all diejenigen einwirkt, die sich ihnen aussetzen; aber auch der Jagd nach bestbenoteter Leistung (selbst wenn oft nicht der Realität entsprechend), wie sie bei vielen Schülern schon ab der fünften Klasse hausgemacht wird…

Wollen Kinder Helden sein? Wenn man sie danach fragt – ja! So stimmten zumindest viele den attraktiven Bezeichnungen der Kleingruppen (nach Spiderman, Scooby-Doo und anderen Zeichentrick-Protagonisten) sowie den ausgeklügelten Aktivitäten im Spektrum Sport&Spaß (Geländespiele mit Bezwingungscharakter; „Heldenakademien“ als Mutproben; Tages-, bzw. Nachtwanderung mit eingebauten Wettbewerbs-Elementen) willig zu und die schon zur Tradition gewordenen Strukturen und Tagesabläufe wurden von den Teilnehmern begeistert angenommen. Frühsport und besinnliche Gruppenzeit, beides noch vor dem Frühstück, stärkten die Motivation und die Konzentration, die Bibelarbeit setzte das jeweilige Tagesthema (z.B. Fear not! oder BestFriendsForever) als einzunehmendes Ziel, Turniere und Freizeitbeschäftigungen unterfütterten Geschicklichkeit u.a. individuelle Fähigkeiten, die Abendaktivitäten bescherten gemeinsame Erfolgserlebnisse und eine fortlaufende Gute-Nacht-Geschichte verband höchst geschickt und auf spannende Art und Weise die biblische Erzählung mit schulischer Lebenswirklichkeit. Die Aufmerksamkeit der Kinder war dank des durchkomponierten Programms also ständig angeregt. Der Wille, etwas besonderes zu erreichen, war befeuert.

Sollen Kinder Helden sein? In den Augen vieler Erziehungsberechtigter und „-verpflichteter“ (sprich: Eltern und Lehrer), trotz all der hochgehaltenen Werte wie Gemeinschaftssinn und Nachhaltigkeit, dann irgendwie doch – ja!

Es war kein Leichtes, aus der umfangreichen Davidsgeschichte, die den Leitfaden des diesjährigen Jungscharlagers bildete, die Essenz so herauszuarbeiten, dass der Hunger nach Heldentum gestillt werde und gleichzeitig christliche Kernaussagen ins Blut übergehen würden. Das geistliche Konzept der Fünf-Tage-Woche verfolgte dies über die Stationen: Erwählung des Geringen (David mit Samuel), Überwindung der Angst (mit Goliath), Bedürfnis nach Freundschaft (mit Jonathan), Verzicht auf Rache (mit Saul) und Notwendigkeit Vergebung zu erlangen (mit Batseba). Teilnehmer – und nicht zuletzt auch Mitarbeiter – sollten zur Einsicht gelangen, dass es ausschlaggebend ist, wie man den Begriff ‚Held‘ füllt, worauf man schaut (das Augenfällige oder ins Herz, die Physis oder das Vertrauen usw.), wenn man einen gottgemachten Menschen – sein Gegenüber oder sich selbst – beurteilt. Szenische Anspiele konnten dazu, wenn sie gut dargebracht wurden, tiefe Eindrücke hinterlassen und Erkenntnisse wecken, die im Anschluss an die Impulse aus dem großen Zelt dann in den auf dem gesamten Gelände verteilten Grüppchen diskutiert wurden – eine wichtige Übung für die Kinder und die gesprächsleitenden Jugendlichen gleichermaßen. Zur Festigung und Ergänzung gab es die Heldenakademie, aber auch kleine Angebote am Rande trugen erheblich zur Vertiefung der Einsichten bei. Bspw. boten Tageszeitung und Rätselwand denen, die ihre Fragen weiter verfolgen wollten, hilfreiche Anknüpfungspunkte; auch die Überraschungseinlage eines eingeladenen Zauber-, bzw. Illusionskünstlers unterstützte durch dessen selbstironische und Schwächen erlaubende, dann aber doch wieder verblüffende Art den Duktus des kontroversen Themas.

Tapfer sollten die Kinder vor allem im Hinblick auf ihre persönliche Entwicklung sein. Gerade im Jungscharalter bringt sie entsprechende Herausforderungen mit sich, z.B. wenn es darum geht, zu zweit im engsten Zelt sein Hab und Gut zu ordnen oder die Bedürfnisse der anderen sogar im Achter-Tipi zu achten, bei Spiel und bei Tisch fair zu bleiben und aus kleinen Befürchtungen keine große Verschwörungspanik entstehen zu lassen. All solche Erfahrungen konnten im Selbstständigkeit fordernden und dennoch schutzbietenden Kontext des Ferienlagers experimentiert werden.

Können aber Kinder – und mit ihnen wir Menschenkinder – überhaupt ‚Helden‘ sein? Eine Mutter hätte sich beim Abholen sehr gewünscht, eine Bibelstelle als Definition dieses Begriffs genannt bekommen zu können. Möglich ist es aber nur thematische Tangenzen dazu auszuweisen, wie die Gefahr des menschlichen (Selbst-)Ruhms und der richtige Sinn des Lobens (wie er u.a. im regelrechten Gottesdienst erklärt wurde, den man am Donnerstag unter der Gestaltung von Pfr. Joachim Lorenz feierte), vor allem aber die Kraft und die Macht, die aus wahrem Vertrauen entstehen. Es ist verständlich: auf komplizierte paulinische Darlegungen dazu (wie die des 2. Korintherbriefs) wurde in diesem Rahmen nicht eingegangen; neutestamentliches Proprium rückte überhaupt erst bei der abschließenden Bibelarbeit von Diakonin Cristina Arvay (Vergebung durch Christi Kreuz) in den Vordergrund. Und dennoch ließ das Miteinander, der Umgang zwischen allen Beteiligten und der friedvolle Verlauf der gesamten, auch von Jugendreferent Alex Arhire mitverantworteten Rüstzeit sichtbar werden, dass durch sie etwas besonderes erreicht wird, wenn die Hingabe und nicht das Anerkanntsein die Menschen leitet, dass der Erfolg nicht nur in der Eigenleistung, sondern im Annehmen des Geleisteten gründet; dies verdeutlichte noch ein beim Abschlussabend abgelegtes Zeugnis: nicht öffentliche Berühmtheit, sondern das Vertrauen auf die Liebe macht einen zum Helden – wenn jemand das erreicht, dann nur mit und durch Gott!

Dass der Transfer von den Interesse weckenden TV-Helden und den Formulierungen in globalisierter Teenie-Sprache – über die Zurücknahme von Selbstbezogenheit oder von Drang nach Ruhm und durch die Suche nach Gottesnähe – hin zu dem allgegenwärtigen, in der mehrmals täglich über den ganzen Zeltplatz schallenden Signalmusik besungenen Superhero Jesus… dass dieser Transfer in allen, die wir dort anwesend waren, gelungen ist oder – besser noch – allmählich nachwirkend das je eigene Leben begleitet und prägt, bleibt zu hoffen. Solche Hoffnung aber hat, nicht allein angesichts verblüffender Äußerungen Einzelner beim Abschied und der breiten Bereitschaft sich davor segnen zu lassen, guten Grund: jenen, welcher schon gelegt ist und auf den vielerlei gebaut werden kann, das länger hält als ein aufgeschlagenes Zelt.

G. Maximilian Braisch