"Gott erbarmt sich unser"


Bezirksdechant Stadtpfarrer Dr. Bruno Fröhlich (Foto: zVg)

Die schriftliche Predigt für den Elften Sonntag nach Trinitatis, den 23. August 2020, hat uns der Schässburger Bezirksdechant und Stadtpfarrer Dr. Bruno Fröhlich zur Verfügung gestellt. Seine geistlichen Gedanken beziehen sich auf ein Schriftwort, das unter 2. Sam. 12,1 – 10.13 – 14 zu finden ist.

1Der HERR sandte Nathan zu David. Als der zu ihm kam, sprach er zu ihm: Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm. 2Der Reiche hatte sehr viele Schafe und Rinder; 3aber der Arme hatte nichts als ein einziges kleines Schäflein, das er gekauft hatte. Und er nährte es, dass es groß wurde bei ihm zugleich mit seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und schlief in seinem Schoß, und er hielt's wie eine Tochter. 4Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er's nicht über sich, von seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten, der zu ihm gekommen war, sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der zu ihm gekommen war. 5Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr der HERR lebt: der Mann ist ein Kind des Todes, der das getan hat! 6Dazu soll er das Schaf vierfach bezahlen, weil er das getan und sein eigenes geschont hat.

7Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann! So spricht der HERR, der Gott Israels: Ich habe dich zum König gesalbt über Israel und habe dich errettet aus der Hand Sauls 8und habe dir deines Herrn Haus gegeben, dazu seine Frauen, und habe dir das Haus Israel und Juda gegeben; und ist das zu wenig, will ich noch dies und das dazutun. 9Warum hast du denn das Wort des HERRN verachtet, dass du getan hast, was ihm missfiel? Uria, den Hetiter, hast du erschlagen mit dem Schwert, seine Frau hast du dir zur Frau genommen, ihn aber hast du umgebracht durchs Schwert der Ammoniter. 10Nun, so soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen, weil du mich verachtet und die Frau Urias, des Hetiters, genommen hast, dass sie deine Frau sei. […]

13Da sprach David zu Nathan: Ich habe gesündigt gegen den HERRN. Nathan sprach zu David: So hat auch der HERR deine Sünde weggenommen; du wirst nicht sterben. 14Aber weil du die Feinde des HERRN durch diese Sache zum Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.

Liebe Brüder und Schwestern,

die Prominenten und vor allem die Herrscherfamilien waren zu allen Zeiten für Skandalgeschichten gut und sind es bis heute. Auch das Alte Testament kennt eine ganze Reihe solcher Geschichten, aus denen ganze Serien gedreht werden könnten. Es geht um Liebe und Versuchung, um Mord und Krieg, um Neid und Hinterlistigkeit. Das obige Bibelwort ist eine solche Geschichte. Um zu begreifen, worum es geht muss man die Vorgeschichte kennen, die – für damalige Verhältnisse – harmlos anfängt. Der König David führt Krieg gegen eines der Nachbarvölker Israels, gegen die Ammoniter. Er ist inzwischen so erfolgreich und seine Armee so gut eingeübt, dass er gar nicht mehr selber zu Felde ziehen und seine Hände schmutzig machen muss. Er schickt seinen Heerführer namens Joab mit den Soldaten los und er selbst bleibt in seinem Palast und genießt das Leben. Nach der Mittagshitze ergeht er sich auf dem flachen Dach des Königspalastes, schaut auf die Stadt hinunter und sieht eine bezaubernde Frau. Er wird neugierig und erkundigt sich nach ihr. Sie heißt Bat-Scheba und ist die Enkelin eines seiner Berater. Ihr Mann der Hethiter Uria ist einer seiner heldenhaften Soldaten, der gerade in dem von ihm angeordneten Krieg kämpft. Es kommt, wie es kommen muss: David begehrt die Frau und lässt sie zu sich holen. Die Affäre bleibt nicht ohne Folgen, die Frau wird schwanger, und es gibt keinen Zweifel, von wem das Kind stammt. Nun erst merkt David, dass diese Geschichte sich zu einem Skandal entwickeln könnte und der König überlegt fieberhaft wie er den Skandal vertuschen könnte. Was nun folgt, ist ein teuflischer Plan, den David eiskalt durchführt, ohne die geringsten moralischen oder ethischen Bedenken. Der Ehemann Uria, der Hethiter, wird aus dem Krieg zurückgerufen, unter dem Vorwand, vom Fortgang des Feldzuges zu berichten. Und dann schickt ihn der König in sein Haus zu seiner Frau. Ob der Mann vielleicht etwas geahnt hat? Oder ist er tatsächlich ein so ehrlicher, seinen Kameraden verpflichteter Soldat? Wie auch immer, übernachtet er in der Wachstube bei den anderen Soldaten. Auch kräftige Mengen Alkohol, mit denen es der König am nächsten Abend versucht, bleiben erfolglos. Der Soldat lässt sich das fremde Kind nicht unterschieben. Also muss ein Alternativplan her, um den Skandal doch noch zu vermeiden und dieser letzte Versuch ist an Niedertracht nicht mehr zu überbieten. Einen Brief an den Feldherrn Joab schreibt David und der Soldat Uria ist selber der Überbringer des Briefes. Es geschieht, was der König in diesem Brief befohlen hat: der Feldherr führt ein riskantes Manöver durch, der tapfere Soldat Uria steht in der vordersten Reihe und kommt um. Auch einige weitere tapfere Kämpfer kostet diese Aktion das Leben; ein Kollateralschaden der billigend in Kauf genommen wird. Der Plan scheint erfolgreich zu sein und nach einer kurzen Trauerzeit kann der König die Soldatenwitwe Bat-Scheba heiraten. Doch diese Vorgeschichte schließt mit einem Satz, der sich wie der Donner eines herannahenden Gewitters aus der Ferne anhört: „Aber dem HERRN missfiel die Tat, die David getan hatte.“ (2. Samuel 11,27) Dann folgt die Erzählung über den Besuch des Propheten Nathan bei David, obige Geschichte.

Die Methode des Propheten Nathan ist mindestens so ausgefeimt wie Davids Plan. Einem Herrscher kann man ja nicht ohne weiters ins Gesicht sagen, dass er ein heimtückischer Mörder ist. Also legt der Prophet dem König einen „virtuellen“ Streitfall vor und erzählt ihm die Geschichte „Vom reichen und vom armen Mann“. Erst am Ende erfährt David, dass es seine eigene Geschichte ist. Zuerst reagiert er mit großer Empörung darauf. Er weiß, was Recht und Unrecht ist; er spricht Urteil über andere und verhängt Strafen. So sind wir Menschen: wir erkennen getanes Unrecht besonders gut bei anderen. Auch unsere eigenen Fehler erkennen wir an und in den anderen, besser als bei uns selbst. David tappt in die Falle. Er hält diese Geschichte für einen echten Streitfall, der ihm vorgelegt wird und spricht sich selber das Urteil. „Du bist der Mann!“ (2. Samuel 12,7) Mehr braucht Nathan nicht zu sagen. David unternimmt keinen Versuch mehr, etwas zu leugnen und tut das einzig Richtige in dieser Situation: er erkennt seine Schuld: „Ich habe gegen den HERRN gesündigt.“ Was dann folgt klingt – in Anbetracht der besondern Schwere der Schuld – zunächst unverständlich. Nathan sprach zu David: „So sieht der HERR über deine Sünde hinweg: Du musst nicht sterben!“ (2. Samuel 12,13) So einfach ist das? Kann sich ein König alles leisten, ohne es verantworten zu müssen? Ganz ohne Strafe kommt David dann doch nicht weg. Der Tod des Kindes ist Strafe für David, nicht für das Kind selbst. Das ist aus heutiger Sicht unverständlich, für jene Zeit aber damit zu erklären, dass Kinder – bevor sie 40 Tage alt geworden waren – nicht als endgültig lebendig angesehen wurden, da die Kindersterblichkeitsrate gleich nach der Geburt sehr hoch war. Und eine weitere Folge hat Davids Handeln: „das Schwert soll nie von deinem Haus weichen.“ (2. Samuel 12,10) Skandale, Konflikte, Kämpfe und Verbrechen in der Königsfamilie hören tatsächlich nicht auf: inzestuöser Missbrauch, Brudermord, Aufstand des Sohnes gegen den Vater, wird David selber noch erleben.

„Du bist der Mann!“ oder „Du bist die Frau!“ – Das gilt auch uns. Auch wenn wir keine hinterlistigen Mörder sind: wir werden immer wieder schuldig und unsere Fehler haben Folgen für uns, für unsere Mitmenschen, für unser Umfeld. Zugefügte Verletzungen oder deren Narben bleiben oft erhalten. Doch ebenfalls aus dieser Geschichte lernen wir, dass Gott Erbarmen hat: Gott erbarmt sich seines Dieners David, und er erbarmt sich unser. Das Leben geht weiter. Es ging auch mit David und Bat-Scheba weiter: der zweite Sohn, war kein geringerer als der weise König Salomo. Gottes Geschichte mit seinen Menschenkindern geht weiter trotz Skandalgeschichten, trotz Verfehlungen. Wichtig ist – und das lernen wir hier aufs Neue – die eigene Schuld einzusehen und einzugestehen. Vor allem und zuerst bei uns selber.

Amen.