"Für alle Menschen von Bedeutung"


Pfrn. Gunda Wittich

Am Ersten Sonntag nach dem Christfest (27. Dezember 2020) kommt die schriftliche Predigt erstmals von Pfrn. Gunda Wittich aus Hermannstadt. Frau Wittich ist Referentin für evangelischen Religionsunterricht und teilt ihre Gedanken zu der Bibelstelle Joh 21,20-24 mit uns.

Liebe Lesegemeinde,

die Weihnachtsfeiertage liegen hinter uns. Obwohl doch alles anders war, war es wie immer: Wir haben gefeiert, dass Gott Mensch wird. Dass er Kind in der Krippe wird. Und wir kommen jetzt wieder dahin zu sehen: Gott wird auch der am Kreuz und der, der aufersteht. Deshalb machen wir einen Sprung ganz ans Ende des Johannes-Evangeliums. Dort steht unser heutiger Predigttext. Am heutigen Gedenktag für den Evangelisten Johannes geht es um ebendiesen Johannes (ja, auch um Petrus, aber um ihn mehr nebenbei). Zeitlich befinden wir uns schon nach der Auferstehung, ganz am Schluss von Jesu Erdendasein. Da heißt es im 21.Kapitel des Johannes-Evangeliums: (Joh 21,20-24)

20Petrus aber wandte sich um und sah den Jünger folgen, den Jesus lieb hatte, der auch beim Abendessen an seiner Brust gelegen und gesagt hatte: Herr, wer ist's, der dich verrät? 21Als Petrus diesen sah, spricht er zu Jesus: Herr, was wird aber mit diesem? 22Jesus spricht zu ihm: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? Folge du mir nach! 23Da kam unter den Brüdern die Rede auf: Dieser Jünger stirbt nicht. Aber Jesus hatte nicht zu ihm gesagt: Er stirbt nicht, sondern: Wenn ich will, dass er bleibt, bis ich komme, was geht es dich an? 24Dies ist der Jünger, der das bezeugt und aufgeschrieben hat, und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist.

Kennen Sie den Lieblingsjünger Jesu?

Unser Predigttext heute handelt vom Lieblingsjünger, oder von dem Jünger, ‚den Jesus liebhatte‘: Der Evangelist Johannes identifiziert sich am Ende seines Evangeliums mit genau diesem. Er, der Verfasser des Evangeliums, will der sein, der beim Letzten Abendmahl an Jesu Seite saß, der unter dem Kreuz stand und den Jesus dort in besonderer Weise mit seiner Mutter verband, und er will der sein, den Jesus liebhatte. Das bürgt für Wahrheit und Zuverlässigkeit. Denn er möchte auch der sein, der verkündet, dass das Wort Fleisch geworden ist, dass der Tröster kommt, der uns begleiten wird, dann, wenn es schwierig wird. Und es wird schwierig werden.

Kennen Sie den Lieblingsjünger Jesu?

Es gibt so schöne Darstellungen von diesem Lieblingsjünger! Gerade die Gotik hat ganz anrührende Bildwerke und Figuren hervorgebracht: ein zarter Jüngling, oft mit längerem, gewelltem Haar, ganz dem Schönheitsideal dieser Zeit entsprechend, gemalt, geschnitzt oder gemeißelt: wunderschöne Kunstwerke für die Ewigkeit!

Ich bekomme zu dieser Figur des Lieblingsjüngers schnell Zugang. Nicht nur, weil er so schön ist. Nein, weil mir der Johannes aus dem Herzen spricht. Ich wäre nämlich auch gerne so eine Lieblingsjüngerin. Eine, die ganz nah dran ist. Eine, bei der man aufgrund dieser Nähe auch von Wahrheit und Zuverlässigkeit sprechen kann. Ich wäre so gerne zuverlässig. Ich hätte so gerne, dass das, was ich denke und tue, ‚wahr‘ wäre. Und hätte auch gerne, dass mein Trost gehört werden kann. Ich hätte gerne eine Vorzugsbehandlung von Jesus. Brauchen die anderen ja nicht wissen. Oder höchstens indirekt. Aber schön wäre das schon.

Mir scheint, solch ein Gedanke ist zutiefst menschlich. Zutiefst Christen-menschlich. Einerseits soll alles gleich und gerecht zugehen. Andererseits möchte ich aber doch etwas Besonderes sein. Und da bin ich gar nicht mehr so bescheiden. Das kennen die ersten Christen offensichtlich auch. Jedenfalls scheint es Einspruch zu geben, Nachfragen von Petrus und anderen. Die Sonderbehandlung wird wahrgenommen, - und nicht nur gutgeheißen!

Wenn ich dann aber von außen auf den Text schaue, dann sträube ich mich dagegen, dass jemand anderes diese Rolle einnehmen soll. Also, wenn nicht ich, dann auch kein anderer. Ganz wie Petrus nachfragt.

Die biblischen Wissenschaften sind sich übrigens einig: dieser Sätze mit dem Lieblingsjünger sind ‚Fakenews‘. Der Verfasser war nicht dieser Johannes, nicht dieser Lieblingsjünger. Mit Wahrheit und Zuverlässigkeit hat es gerade nichts zu tun. Sondern ganz profan mit Konkurrenz und ‚der erste sein wollen‘. Also mit dem, was mir auch so vertraut ist.

Wie gehen wir damit um?

Was tun wir, wenn wir genau wissen, da hat sich einer etwas schöngeschrieben?

Wir müssen wohl auf das schauen, was ihm sein eigentliches Anliegen war.

Und dieses Anliegen heißt: Gott wird Mensch. Das will er verkündigen. Das Wort wird Fleisch. Gott kommt in einer Weise zu den Menschen, dass es für alle Menschen von Bedeutung ist. So dass der einzelne zwar gemeint ist, aber nicht das Wesentliche ist. Es ist Gottes Liebensbezeugung an die ganze Menschheit. Jeder Mensch ist gemeint, groß und klein und alles dazwischen, alt und jung und alles dazwischen, männlich und weiblich und alles dazwischen, klug und einfachgestrickt und alles dazwischen. Was keine Rolle spielt? Nationalitäten, Identitäten, Überzeugungen und Weltsichten.

So, unter dieser Blickrichtung, kann ich den Text lesen und er gibt mir Ermutigung und Zuversicht. Als Teil der Menschheit bin auch ich gemeint: und ich ganz besonders. Als Teil der Menschheit sind auch mein Konkurrent und meine Konkurrentin gemeint: und diese ganz besonders. Als Teil der Menschheit, zu der Gott kommt, sind auch mein Freund und meine Freundin gemeint: und diese ganz besonders. Aber es sind auch meine Feindin und mein Feind gemeint: und auch diese ganz besonders.

Ja, Gott hat mich lieb. Und die anderen auch. Daran muss ich mich nicht stören. Darüber kann ich mich freuen und diese Freude auch teilen und weitergeben.

Gottes Vernunft ist eben einfach größer als unsere Vernunft. Und sein Friedenswille für uns Menschen ist größer, als wir es uns mit unseren beschränkten Sichtweisen vorstellen können. In diesem Sinne weiterhin Gottes Segen, gute Feiertage und einen guten Übergang in ein Neues Jahr 2021. Möge es leichter sein!

Amen.