Ein Labyrinth begehen - Eine etwas andere evangelische spirituelle Übung


Labyrinth in der evangelischen Kirchenburg am Rande von Hermannstadt (Bild: zVg)

"Gehe den Weg des Labyrinths. In der Mitte findest du die Antwort auf deine Frage", sagte die Frau in weißem Gewand, Engelflügel an dem Haken am Zaun, sie sprach rumänisch mit ukrainischem Akzent. Habe ich eine Frage? Nun ja, ich  habe eine Frage, eine, die mich diese Tage beschäftigt gehalten hat. Ich gehe los. Ich freue mich auf diesen Spaziergang im Labyrinth, zwischen alten Ziegeln auf grünem Wege, hier in der evangelischen Kirchenburg am Rande von Hermannstadt, nur zehn Minuten mit dem Fahrrad von zuhause entfernt.

Ein Labyrinth begehen - ich liebe diese uralte spirituelle Übung, als Gebet, als Meditation, als Kontemplation. Auch dieses hier hat, wie die Labyrinthe, die seit Jahrhunderten in verschiedenen Kulturen und Religionen gleichermaßen genutzt werden, die Form eines Kreises mit einem einzigen Weg, der zu einer Mitte führt. Es gibt  zahllose Möglichkeiten, das Labyrinth zu begehen, von der Suche nach der eigenen Berufung bis hin zu Klärung brennender Fragen.  Der Weg von der Sünde zur Erlösung (wie es die Mönche von Chartres meditierten) bis hin sich schlicht mit der erhaltenden, erlösenden Liebe Christi zu verbinden. Oder – wie es hier am Rande von Hermannstadt in der nachösterlichen Zeit vorgezeichnet ist: durch den Tod zum Leben schreiten.

Meine Tochter fragt mich nach dem Labyrinth, sie kennt diese Form des Betens noch nicht. Ich erzähle ihr von den Momenten in einem Labyrinth, wie ich sie verstehe und zuweilen erlebe. Am Anfang tut es gut sich zu erinnern, dass du gesegnet bist. Alles, was wir haben, alles, was wir sind, ist ein Segen Gottes. Auf dem Weg zur Mitte übst du das Loslassen. Du kommst zur Ruhe, öffnest dich, legst alles ab. In der Mitte verweilst du ein wenig. In der neuen Leere entsteht im Inneren ein Raum, der es dir erlaubt den Geist Gottes wirken zu lassen. Du spürst eine innere Stille, kannst dich führen lassen, eine Idee bekommen oder ein Gefühl des Friedens empfinden. Der Weg aus dem Labyrinth beginnt damit, dass du die Mitte verlässt und auf demselben Weg wieder aus dem Weggeflecht herauskommt. Dies kannst du unterschiedlich tun: du kannst dich entschließen, einen nächsten Schritt in deinem Leben zu tun. Du findest vielleicht eine Lösung für etwas oder eine Antwort auf eine Frage, die dich beschäftigt. Du kannst Aufatmen und weiter gehen. Leichtfüßig.

Elfriede Dörr