Buchbesprechung: Hans Klein: „Ausgerichtet auf das Kommende – Erinnerungen“
Vor mir liegt das jüngst, im Schiller Verlag erschienene Buch von Hans Klein. Es ist eigentlich eine Autobiographie - und als solche naturgemäß eine Retrospektive auf das lange, vielfältige und erfüllte Leben des Autors. Doch der ungewöhnliche Titel „Ausgerichtet auf das Kommende“ weist darauf hin, dass es Hans Klein nicht um den Rückblick geht, sondern vielmehr darum, dem Leser einen Überblick auf seinen Lebensweg und seinen vielfältigen Dienst zu gewähren. Der Grundzug seiner Lebenseinstellung war jedenfalls eine stets nach vorne gerichtete Haltung. So ist der Titel zu verstehen.
Das Buch nimmt den Leser auf einen ungemein spannenden Lauf mit! Der Autor gibt, auf über 430 Seiten, einen Einblick in sein persönliches Leben, in seine Zeit und in sein Wirken. Aufgebaut ist es entlang der Zeitlinie: erster Teil – „Kindheit und Jugend“, dann folgen die Teile: „Im Pfarrdienst“, „Theologischer Lehrer“, „Die Wende“, „Vielfältige Aufgaben“ und zuletzt „Im Ruhestand“.
Thematisch folgt der Bericht scheinbar geradlinig den Zeitspannen, aber inhaltlich ist er vielschichtig aufgebaut. Er hat
- - biographischen Charakter, denn man lernt Person und Persönlichkeit von Hans Klein auf ihrem Lebensweg kennen. Das Buch ist aber gleichzeitig
- - ein Geschichtsbuch, weil es die Historie von Kirche und Gesellschaft in Siebenbürgen in den letzten 80 Jahren aus Sicht des Autors dokumentiert und beschreibt. Und es ist
- - ein Theologiebuch, denn es nimmt nicht nur auf die europäische Theologiegeschichte der letzten Jahrzehnte – die Hans Klein mitgestaltete - eingehend Bezug, sondern es ist allenthalben von theologischen Gedanken und Reflexionen des Autors durchzogen. Es ist klar, dass diese verschiedenen Schichten des Buches miteinander interagieren und sich vermischen. Aber gerade das ist das Bemerkenswerte und das Interessante an diesem Band! Beim Lesen bleibt man gespannt und selber ausgerichtet auf das Kommende der nächsten Seiten!
Im Folgenden sollen nun diese drei Ebenen des Buches nur umrisshaft näher beleuchtet werden. Das Ganze kann in diesem Artikel schwerlich dargestellt werden. Ich möchte hier eher Lust dazu machen, es selber zu lesen.
Man lernt Hans Klein, der vielen von dem Höhepunkt seines Schaffens her bekannt ist, in seinem ganzen Werdegang kennen. Der Einblick in das familiäre und schulische Umfeld der wirklich schweren, von Armut geprägten Nachkriegsjahre berührt - und der Einblick in die Seele und in die Gedankenwelt des Heranwachsenden lässt sein „Ich“ ganz nahe herankommen. Der Leser begleitet den ethisch feinfühligen, mathematisch hochbegabten Jüngling bei seinem Entschluss die Herausforderung anzunehmen und Theologie zu studieren.
Das Studium am damals neuen Theologischen Institut in Hermannstadt, der Weg ins Vikariat, in die erste Pfarrstelle nach Lugoj und dann nach Deutsch Kreuz, zeigen einen jungen Mann, der sich den oft nicht einfachen Situationen zu stellen bereit war. In seinem Artikel „Die Bewältigung von Not“ hat Klein viel später und in anderem Zusammenhang gesagt: „Es war weder gut noch schlecht, es war so.“
Kennenlernen, Verlobungszeit, Heirat und glückliche Ehe mit seiner Frau Heide, lassen den jungen Ehemann und Familienvater Hans Klein vor dem inneren Auge erstehen. Sein Ringen um Authentizität und Glaubwürdigkeit auf der Kanzel ging einher mit seinem persönlichen Fragen nach Gott. In seinem gedichtartigen Text: „Wenn es aber doch keinen Gott gibt?“ schließt er:
„…nenne es darum: Schicksal, Leben, wie du willst./ Du wirst geführt, wo du zu führen meinst./ Du bist getragen am Ende deiner Kraft./ Warum nicht von Gott?“ Und Hans Klein fügt, aus viel späterer Sicht dazu: „Ich konnte nicht ahnen, dass ich dieses ´Getragensein am Ende meiner Kraft´ ganz real bei oder kurz nach der Operation infolge des Schusses in den Brustkorb am Abend des 24. Dezember 1989 erleben würde.“
Als Geschichtsbuch stellt dieses Buch die Ereignisse, sowohl vor als auch nach der Wende, aus sehr persönlichem Blickwinkel dar. Klein wurde, bereits in sehr jungen Jahren, Theologieprofessor und hat seit dieser Zeit in Hermannstadt gelebt. Die Geschichte dieser Stadt, aber dann auch über die Stadt hinaus, hat er zunächst mitertragen und dann, nach der Wende, mitgeprägt. Am Anfang war es die Ceauşescu-Zeit, mit all ihren Schwierigkeiten und Repressionen.
Es war die Zeit, in der die Siebenbürger Sachsen zu einem Großteil auswandern wollten, weil sie hier, in Siebenbürgen, keine Hoffnung auf Zukunft sahen. Hans Klein erlebte und erlitt diese Zeit und schreibt: „Ich stellte die wachsende Resignation fest und fragte mich dementsprechend um 1978, was angesichts der beginnenden und offenbar auf einen Höhepunkt zusteuernden Resignation folgen würde. Die Frage war: Wächst vielleicht irgendwo doch Hoffnung? Das wäre zu wünschen und zu hoffen: Ich schrieb etwas später in ein Heft: ´Hoffen bedeutet, die Hoffnungslosigkeit erkennen und geduldig warten, bis Hoffnung wächst.´“
Die Geschichte nach der Wende, mit dem hohen persönlichen Engagement Kleins, lesen sich spannend, wie ein Krimi! Die Wende überraschte uns alle. Dass sie mich in persönlicher Weise betreffen würde, hatte ich nicht voraussehen können, schreibt der Autor. Dennoch hat die Fähigkeit Kleins „auf das Kommende ausgerichtet“ zu sein, diese Geschichte zu einer Erfolgsgeschichte werden lassen. In vielen Einzelheiten wird der Entwicklungsprozess nach der Wende beschrieben. Wenn man zum Beispiel wissen will, wie „Hermannstadt“ wieder offizieller Name der Stadt geworden ist – hier kann man es nachlesen.
Letztendlich ist das Buch auch ein Theologiebuch. Denn es beschreibt den Weg eines Mannes, dessen theologische Vorträge und Publikationen in der gesamten Welt der evangelischen Theologie geschätzt wurden. Klein stand zu seiner Zeit mit der gesamten theologischen Elite im engen Kontakt auf Augenhöhe. Sein beachtliches Wirken in der „Studiorum Novi Testamenti Societas“, seine einzigartige gesamtbiblische Theologie „Leben neu entdecken“ oder sein, in der Reihe Meyers Kritisch-Evangelischer-Kommentar erschienene Auslegung des Lukasevangeliums, sind nur wenige Beispiele einer großen akademischen Leistung. Die Entstehungsgeschichten, die persönlichen Wechselwirkungen und die knappe Darlegung der Ergebnisse seiner Forschungen in diesem Buch, können durchaus als Darstellung eines Teiles der europäischen Theologiegeschichte der vergangenen Jahrzehnte gewertet werden.
Das Buch ist aber (last but not least) ein Glaubensbuch. Es ist durchzogen von der religiösen Haltung seines Autors, der seine inneren Kämpfe und Beweggründe darlegt und der seine Entscheidungen letztendlich immer aus dem christlichen Glauben heraus gefällt hat. So kann man dieses Buch auch von diesem Blickwinkel aus lesen und darüber dankbar staunen, wie Gott in seinem Diener Hans Klein gewirkt, und was er durch ihn bewirkt hat.
Dr. Thomas Pitters