"Barmherzig, wie auch euer Vater"


Vikarin Angelika Beer

Angelika Beer, die Vikarin des Gemeindeverbandes von Neppendorf (Kirchenbezirk Hermannstadt) hat sich in ihrem geistlichen Wort mit der Jahreslosung für 2021 beschäftigt: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lukas 6, 36)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus.

Beinahe hätte ich es vergessen: Das Licht, das vom 24. Dezember bis zum 6. Januar am Abend und nachts aus dem Neppendorfer Kirchturm scheint. Das Weihnachtslicht, das auch über Silvester und Neujahr hell erstrahlt. Da sind wir nun: im Jahr 2021. Und das Weihnachtslicht geht mit – Samuel Gromer, der ehemalige Neppendorfer Kurator, der Elektriker war, vor 30 Jahren Kurator unserer Kirchengemeinde wurde und dies Amt bis 2005 innehatte, hat dieses helle Kirchturmlicht installiert. Und seither ist es jedes Jahr von Heilig Abend bis zu Epiphanias am 6. Januar zu sehen.

Die Jahreslosung für 2021 „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ steht in folgendem Kontext, beim Evangelisten Lukas im 6. Kapitel (Verse 17–21 und 31–38):

Und Jesus ging mit den zwölf Jüngern hinab und trat auf ein ebenes Feld, er und eine große Schar seiner Jünger und eine große Menge des Volkes aus dem ganzen jüdischen Land und Jerusalem und aus dem Küstenland von Tyrus und Sidon, die gekommen waren, ihn zu hören und von ihren Krankheiten geheilt zu werden; und die von unreinen Geistern umgetrieben wurden, die wurden gesund. Und alles Volk suchte ihn anzurühren; denn es ging Kraft von ihm aus und heilte sie alle. Und Jesus hob seine Augen auf über seine Jünger und sprach: Selig seid ihr Armen; denn das Reich Gottes ist euer. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert; denn ihr sollt satt werden. Selig seid ihr, die ihr jetzt weint; denn ihr werdet lachen. (…) Und wie ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, so tut ihnen auch! Und wenn ihr liebt, die euch lieben, welchen Dank habt ihr davon? Denn auch die Sünder lieben, die ihnen Liebe erweisen. Und wenn ihr euren Wohltätern wohltut, welchen Dank habt ihr davon? Das tun die Sünder auch. Und wenn ihr denen leiht, von denen ihr etwas zu bekommen hofft, welchen Dank habt ihr davon? Auch Sünder leihen Sündern, damit sie das Gleiche zurückbekommen. Vielmehr liebt eure Feinde und tut Gutes und leiht, ohne etwas dafür zu erhoffen. So wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Kinder des Höchsten sein; denn er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch zumessen. Der Herr segne diese Worte an unseren Herzen.

Liebe Gemeinde,

seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Lasst euer Licht leuchten, weil Jesus Christus das Licht der Welt ist.

Und alles Volk suchte Jesus anzurühren; denn es ging Kraft von ihm aus und heilte sie alle. Und er hob seine Augen auf über seine Jünger und sprach. So beginnt bei Lukas die Feld-rede Jesu, bei Matthäus wird sie Bergpredigt genannt. Jesus steht auf einem weiten Feld und viele kommen, nicht um ihn zu hören, sondern um ihn zu berühren, ihn anzufassen, von seiner heilenden Kraft etwas abzubekommen, etwas mitzunehmen. Jesus aber, das Licht der Welt, lässt sich nicht anfassen auf dem Feld, sondern er redet. Er gibt Worte, heilende, herausfordernde, Worte wie Licht zum Leben.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Seid gnädig, nachsichtig, mild, sanftmütig, gütig, sanft, freundlich, mitfühlend, liebevoll, lasst das Herz regieren, seid warmherzig.

Und noch mehr, es geht tiefer, denn Jesus kam aus der Hebräisch-sprachigen Welt und in seiner Muttersprache heißt das Wort für „Barmherzigkeit, Gnade, Erbarmen“ rachamim. Und dieses Wort für Erbarmen hat dieselbe Wurzel wie das Wort rächäm, das Gebärmutter bedeutet. In der Leben entsteht und sich formt, in der Leben geschützt ist, versorgt wird und wächst.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Seid wie eine Gebärmutter, lasst Leben wachsen, unterstützt das, was dem Leben dient, formt es, schützt es, versorgt es. Und es wird wachsen. Und wird leuchten. Wie das Licht vom Kirchturm in Neppendorf, auch über Epiphanias und den 6. Januar hinaus.

Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Lebt selbst daraus, aus der Barmherzigkeit Gottes, aus seiner Liebe, aus dem Leben, das er schenkt und das er uns eröffnet. Seid wachsam und betet, sucht Gott, das Licht und das Leben – auch und vielleicht besonders in diesem Jahr, das noch nicht so durchgeplant ist und in dem noch mehr als sonst vieles nur mit Bleistift im Kalender steht. Das aber bleibt: Gott gibt Licht und Leben. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.