Auch die Sachsen können Revolution: die Neugründung einer Kirchengemeinde im Harbachtal

Die Kirchengemeinde Holzmengen hat sich neu gegründet - ein Projekt, das unbedingt Nachahmer verdient.
Es geht um die Evangelische Kirchengemeinde in Holzmengen. Es ist eine Geschichte des Wiedererwachens einer Kirchengemeinde, ihr Heranwachsen und Reifen. Sie ist kein klassisches Projekt, weil sie nicht nach einer vorgegebenen Dauer aufhören soll. Am liebsten sollte es eine unendliche Geschichte werden. Sie könnte eher mit der Konfirmation einer Dorfgemeinde verglichen werden.
Da ist eine lebendige Gemeinde von, zur Zeit, 74 Mitgliedern, unter völlig neuen Umständen siebenbürgisch-sächsischer Tradition, die bei der Leitung der evangelischen Gesamtgemeinde anklopft und bittet, sie als solche unter Gottes Schutz zu stellen. Das Durchschnittsalter der Mitglieder ist etwa 62 Jahre. In der Landschaft siebenbürgisch-sächsischer Dorfgemeinden gehört sie daher zu den jungen Kirchengemeinden der EKR, im Jahr 2025. Sie trägt den angestammten Namen: Evangelische Kirchengemeinde A.B. Holzmengen (abgekürzt EKHo) und hat sich auch gleich ein neugestaltetes Logo gegeben.
Sie versteht sich als Diaspora-Gemeinde des Kirchenbezirks Hermannstadt und als solche als Mitgliedsgemeinde der EKR. Diese Zuordnung grafisch, in ihren Logos sichtbar zu machen, ist sie gerade dabei.
Die Geschichte des Neuauflebens der Kirchengemeinde Holzmengen beginnt mit ihrem zeitweiligen Untergang. Der ist eine Folge der Geschichte Siebenbürgens im 20. Jahrhundert, in der die Holzmenger lebten: Zwei Weltkriege, Besitzenteignung, Deportation aller arbeitsfähigen Deutschen, die Knute des Kommunismus, die Wende 1989/1990.
In den siebenbürgisch-sächsischen Gemeinden lebte man über Jahrhunderte nach den ungeschriebenen, verbindlichen Gesetzen nachbarschaftlicher Fürsorge. Diese zerbrachen durch die massive Aussiedlung und retteten sich stückchenweise in das HOG-Konzept der Holzmenger mit Wohn- und Lebensschwerpunkt im Stuttgarter Raum und darüber hinaus.
Und dann kam der Beginn des 21. Jahrhunderts mit seinen individuellen, europaweiten Möglichkeiten seine private Existenz nach eigenen Vorstellungen aufzubauen. Die Ländergrenzen wurden geöffnet, der Flugverkehr wurde zum Massenverkehr, Autobahnen ließen Distanzen schrumpfen, die Medien sorgten für zeitnahe Kommunikation.
Rumänien wurde Mitglied der EU, gehörte also zur europäischen Staatengemeinschaft. Die Rahmenbedingungen für den Erlass der EKR, LKZ: 3338/2013, zur Regelung der Mitgliedschaft in der EKR haben sich in den vergangenen 21 Jahren wesentlich geändert, auch weil unterdessen viele Antragsteller nicht mehr Ausländer sind.
Das kleine, fast vergessene Dorf (aber mit gutem Internetanschluss), mit seiner einmalig schönen Kirchenburg, strahlte im vergangenen Vierteljahrhundert offenbar magische Wellen an die Ehemaligen und ihre Nachkommen aus. Die Kirche mit ihren leergebeteten Bänken, die Alte Schule ohne Wasseranschluss, der Friedhof des Trauerns und Erinnerns und etwa 60 Häuser sendeten stumme Hilferufe nach Deutschland und Österreich.
Man hörte und sah aus der Ferne das Gras im Kirchenburgareal hochwachsen, den Fall unzähliger Dachziegel, das „Kirtzeln“ offenstehender Eingangstore, das Aufschlagen der Regentropfen in die ehemalige Burghüterwohnung. Manchmal klagte der Waldkauz über nächtliche Einsamkeit. Solche Anzeichen des Verfalls taten allmählich weh. Der ehemalige Förster kannte und kennt den Gemeindewald von Holzmengen und vermutet heute jenen Baum, den jetzt eine Borkenkäferrotte in Besitz genommen hat. Er hört, trotz großer Entfernung, wie das Männchen ein Loch durch die Rinde des Baumes fräst.
Und er weiß, dass dessen Lockstoffe unwiderstehlich wirken. Tausende von Buchdrucker-Weibchen und ihre Larven werden sich durch das Loch in die Bastschichte der Rinde hineinfressen und diese zerstören. Unter der Borke bleibt die Spur der Zerstörung, einer alten Buchdruckerplatte gleich. Deswegen heißt diese Borkenkäferunterart: Buchdrucker. Holzmengen ohne Wald? Es durchzuckt den Förster.
Es begann ein tatkräftiger Hilfeeinsatz: Gruppen von sachverständigen und arbeitswilligen Holzmengern und Holzmengerinnen und ihren deutschen und österreichischen Freunden, darunter erfahrene, gelernte Handwerker, kamen, um unentgeltliche Arbeit zu leisten. Viele in ihr vorheriges Aussiedlungsdorf.
Gut abgesprochen verbrachten sie viele Urlaubstage gemeinsam sanierend und reparierend am Gemeindeeigentum und dieses mit beweglichen Gütern erweiternd. Man sorgt sich also ehrenamtlich und uneigennützig, in Absprache mit dem Kirchenbezirk, um ein Eigentum der Kirchengemeinde. Das ist aber die Voraussetzung für das kirchliche Gemeindeleben.
Eine einschneidende Erfahrung brachte das Leben zur Zeit der Corona-Pandemie, ab 2020, die alle lehrte, was man kurz davor nicht für möglich gehalten hatte: Räumliche Distanz kann teilweise durch elektronische, vor allem optische, Kommunikation ersetzt werden. Begriffe wie „reale bzw. virtuelle Präsenz“ werden lebendig. Unter anderem bot und bietet man Internet-Gottesdienste, Zoom-Treffen, ja sogar Seelsorge, an. Sie werden gut angenommen. Man lernt langsam damit umzugehen. Auch in der kleinen Gemeinde im Harbachtal.
Die Idee zur Neubelebung der evangelischen Kirchengemeinde in Holzmengen nahm Gestalt an und fand ihren offiziellen Start im großen Festgottesdienst am Samstag, dem 10. August 2024 mit Bezirksdechant Dietrich Galter und einer vollen Kirche.
Die junge Kirche hat unterdessen einen Gemeindepfarrer, einen gewählten Kurator mit fünfköpfigem Kirchenrat, ein grobes Jahresprogramm (mit Planung von Gottesdiensten und Haushalt) und viel Vertrauen in die Zukunft als Gliedkirche der EKR. Eine erfahrene Mentorin begleitet von Beginn an diesen mutigen Weg. Es gibt ein neues Gottesdienstregister, das hoffentlich viele Eintragungen zu Gottesdiensten und kirchlichen Handlungen aufnehmen wird.
Über das Heranwachsen und danach das Reifen dieser kleinen Gemeinde berichten wir dann zu einem späteren Zeitpunkt.
Ilse Philippi