Am Beginn der Karwoche


Vikarin Angelika Beer

Mit einem geistlichen Wort von Vikarin Angelika Beer, aus dem Gemeindeverband Neppendorf (Kirchenbezirk Hermannstadt) begehen wir den Palmsonntag (28. März 2021) und bereiten uns auf die Karwoche vor. Sie befasst sich in ihren Gedanken mit Joh. 12.

Ein neues Wort kursiert seit Kurzem in den Sozialen Medien: mütend. Eine Mischung aus müde und wütend. Nach über einem Jahr mit und in der Pandemie macht sich nicht nur bei Vielen eine bleierne Müdigkeit breit, sondern auch ein Grummeln im Magen. Man ist sauer, man wird wütend, dass die Dinge nicht schneller, nicht besser, dass sie eben nicht anders laufen. Nicht nur wegen der seltsam gleichförmigen Zeit von Lockdown zu Lockdown und zu neuen Restriktionen, auch nach dem langen, farblosen Winter legt sich auf manche Seele ein Grau. Und die Galle kommt einem hoch. Gift und Galle möchte man spucken, sie loswerden, diese Müdigkeit und diese Wut. Mit all diesen Gefühlen, erschöpft, müde, sauer und wütend oder eben mütend stehen wir am Beginn der Karwoche, dem höchsten und gleichzeitig tiefsten Abschnitt in der siebenwöchigen Passionszeit vor Ostern.

Es ist Palmsonntag, der Sonntag vor Ostern, an dem der Einzug Jesu in Jerusalem im Mittelpunkt steht. Da ist noch Freude zu spüren, mit wedelnden Palmzweigen und Jubelrufen gingen die Menschen Jesus entgegen: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn! (Johannes 12, 13b). Er kann Tote auferwecken, hatten sie gehört, der verstorbene Lazarus ist wieder aus dem Grab gekommen, weil Jesus ihn schlicht und einfach herausgerufen hat. Was für ein Wunder! Leben konnte er zurückgeben, die Macht dieses Wanderpredigers schien unaufhaltsam. Und dann ließ Jesus nicht ein Pferd kommen, um wie ein Feldherr in die Stadt einzureiten, sondern nahm einen jungen Esel, setzte sich auf ihn und kam ganz unherrschaftlich in der Stadt seines Schicksals an.

Der Wochenpsalm von Palmsonntag ist auch jenseits aller Höhenflügen, ein Klagelied, ein Klagegebet lesen wir, hier in Auszügen (Psalm 69, 2–4.14–16. 19–22.32–33):

Gott, hilf mir! Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;
ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.
Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser.
Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott.
Ich aber bete, Herr, zu dir zur Zeit der Gnade;
Gott, nach deiner großen Güte erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.
Errette mich aus dem Schlamm, dass ich nicht versinke,
dass ich errettet werde vor denen, die mich hassen, und aus den tiefen Wassern;
dass mich die Wasserflut nicht ersäufe und die Tiefe nicht verschlinge
und das Loch des Brunnens sich nicht über mir schließe.
Nahe dich meiner Seele und erlöse sie,
erlöse mich um meiner Feinde willen.
Du kennst meine Schmach, meine Schande und Scham;
meine Widersacher sind dir alle vor Augen.
Die Schmach bricht mir mein Herz und macht mich krank.
Ich warte, ob jemand Mitleid habe, aber da ist niemand,
und auf Tröster, aber ich finde keine.
Sie geben mir Galle zu essen und Essig zu trinken für meinen Durst.
Ich will den Namen Gottes loben mit einem Lied und will ihn hoch ehren mit Dank.
Das wird dem Herrn besser gefallen als ein Stier, der Hörner und Klauen hat.
Die Elenden sehen es und freuen sich. Die ihr Gott sucht, euer Herz lebe auf!

Klagen und beten – wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und sich der Boden unter den Füßen in Schlamm aufweicht, dass man darin versinkt. Mit Galle bedrängt werden und Essig zum Trinken zu bekommen. Auf Golgatha, dem Ort des Kreuzes, wurde Jesus Wein zu trinken gegeben, mit Galle vermischt und ein Schwamm voll Essig ihm gereicht (vgl. Matthäus 27, 34.48). Saures, Bitteres von allen Seiten.

Klagen und beten. Alles loslassen – vor Gott. Und wenn ich selbst nicht sauer und müde bin, kann ich beten und klagen für die, die so mütend sind. Deren Kraft und Geduld am Ende ist. In der Karwoche, während bunte Ostergrüße geschrieben, gemalt, gestickt und verschickt werden morgens, mittags und abends innehalten und vor Gott bringen, was einem selbst und Anderen die Kraft raubt und die Geduld. Und erleben, wie Gott sich finden lässt.