Gottesdienst trotz Pandemie

Pestkanzel in Grossau

In Perioden besonderer Krisen sind seit jeher auch die Kirchen gefordert, kreative Lösungen für ihre Gemeinden zu finden. Durch die Coronavirus-Pandemie entdecken viele Gläubige die seit Jahren existierenden Angebote von Radio- und Fernsehgottesdiensten. Über das Internet gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Gottesdienste per „Streaming“ - direkt oder zeitversetzt - zu verfolgen. Nicht immer waren die Menschen von einer so breiten Palette an Kommunikationswegen gesegnet.

Die Fürsorge der Kirche für ihre kranken Gläubigen läßt sich auf der Basis ihrer biblischen Grundlage von den urchristlichen Gemeinden bis in die Gegenwart ununterbrochen verfolgen. Obwohl viele Einrichtungen wie Krankenhäuser, Armenhäuser, Waisenheime und dergleichen heutzutage mehrheitlich staatliche Einrichtungen sind, spielen die Kirchen weiterhin eine tragende Rolle. In früheren Zeiten war dies noch intensiver der Fall, weswegen selbstverständlich auch schon seit jeher gottesdienstliche Notprogramme entwickelt wurden.

In ganz Europa wurden im Bereich der Lazarette Gotteshäuser errichtet, die speziell dem Gottesdienstbesuch der Kranken dienten. Berühmte Bauwerke, wie etwa Santa Maria della Pace in der UNESCO-Schutzzone von Neapel, waren ursprünglich Lazarettkirchen. In Deutschland geht die ehemalige Hospitalkirche St. Barbara in Attendorn (Nordrhein-Westfalen) auf das Jahr 1306 zurück. Aus einer viel späteren Zeit stammt eines der beeindruckendsten sakralen Bauwerke Österreichs, die vom Architekten Otto Wagner entworfene Kirche am Steinhof, eine Perle des Wiener Jugendstils.

Die Schässburger „Siechhofkirche“ wird heute von der griechisch-katholischen Gemeinde betrieben.
Mediascher Abendmahlskelch, vermutlich aus der Pestzeit (Bild: KG Mediasch)

In Siebenbürgen erinnert bis zum heutigen Tag etwa die Schässburger Kirche Zum Heiligen Geist (im Volksmund „Siechhofkirche“) daran, dass auch den Kranken, Leidenden und „Aussätzigen“ die kontinuierliche Teilnahme an der Liturgie ermöglicht wurde. Die Hermannstädter Siechenhauskirche wurde erstmals 1292 schriftlich erwähnt, als Orden der Hospitaliter vom Heiligen Geist hier das erste Krankenhaus auf dem Territorium des heutigen Rumänien gründete. Durch die Einrichtung von Siechhäusern, die auch durchziehenden Kranken offen standen, verhinderten die Städte, dass die Betroffenen durch Absteigen in Gästehäusern die Krankheit verbreitet hätten.

Eine Besonderheit ist die bis heute erhaltene „Pestkanzel“ am Pfarrhaus in Großau, die es dem Pfarrer auch bei Seuchengefahr ermöglichte, relativ geschützt zu seiner Gemeinde zu sprechen. In verschiedenen Gemeinden, wie zum Beispiel in Mediasch, werden bis heute vermutlich aus der Pestzeit stammende Abendmahlskelche verwendet, schildert Pfr. Wolfgang Arvay. Bei diesen Gefäßen wird mittels einer eigens angefertigten „Rosette“ ein besonders hygienischer Standard angestrebt. Stadtpfarrer Gerhard Servatius-Depner erklärt: „Man benutzt dafür einen kleinen Behälter, der in die Mitte der Rosette gesetzt wird. Er hat einen Schnabel, durch den der Wein auf einen "Löffel" fließt und in den Mund des Kommunikanten geleitet wird. Es gelangt kein Tropfen zurück, sondern alles fließt durch das Loch unter dem Löffel in den großen Kelch zurück. Nacheinander wechselt man die Rosette mit einer sauberen und der Rest des Weins wird in einem anderen Gefäß entsorgt.“

Gefährliche, ansteckende Krankheiten und Seuchen haben das Leben früherer Generationen stark geprägt. Nicht nur das Abendmahl, sondern jede Art von Kommunikation gestaltete sich ausgesprochen schwierig, die Verkehrswege waren oft in schlechtem Zustand, je nach Zeitalter und Region war auch der Analphabetismus weit verbreitet. Weil kirchliches und öffentliches Leben aber kaum getrennt waren, spielte das sakrale Leben eine enorm große Rolle im Alltag. Auch für Kranke war daher die Teilnahme am Gottesdienst unverzichtbar. „Es gab auch (einen) uns heute fremd erscheinenden Gedanken“, ist in den Mitteilungen der Gesellschaft für Leprakunde e. V. (Nr. 26, 2018) nachzulesen: „Aussätzige sind privilegiert, denn sie können ihre Sünden schon im Diesseits abbüßen.“

Die institutionelle Betreuung von Armen und Kranken wurde in vergangenen Jahrhunderten fast ausschließlich von Ordensschwestern besorgt. Nach der Reformation waren die Zustände in mehrheitlich oder ausschließlich protestantischen Regionen äußerst prekär. Dies wurde erst durch die Initiativen des deutschen Theologen August Hermann Francke (2. Hälfte d. 17. Jh.) und später durch die Etablierung des evangelischen Diakonissendienstes ausgeglichen. In Siebenbürgen wurden viele dieser Fürsorgedienste seit jeher von den Nachbarschaften oder – speziell im urbanen Bereich – von der zivilen Verwaltung geregelt.

Jahrhundertelang bestand das große Dilemma jedenfalls darin, dass zeitnahe Kommunikation praktisch nur unter der Bedingung physischer Nähe möglich war.

BBC überträgt seit 1923 Radiogottesdienste

Sichere Kommunikation „auf Distanz“

Die rasanten technologischen Fortschritte des 20. und 21. Jahrhunderts haben die Menschheit in die Lage versetzt, praktisch jederzeit und schnell zu kommunizieren. Auch die Kirchen haben diese Entwicklung mitgemacht. Die British Broadcasting Corporation (BBC) hat bereits 1923, also kurze Zeit nach der Gründung des öffentlichen Rundfunks, den ersten Gottesdienst im Radio übertragen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Gottesdienste schließlich im Fernsehen übertragen. Der erste evangelische, deutsche Gottesdienst, der per TV empfangen werden konnte, wurde am 4. Dezember 1952 in Hamburg gefeiert.

Trotz anfänglicher Skepsis wird die Übertragung von Gottesdiensten via Radio und TV mittlerweile weitgehend akzeptiert und wird von den Kirchen zumindest als gute Alternative für Menschen, die herkömmlichen Feiern nicht beiwohnen können, geschätzt. Auch die Möglichkeit, auf diesem Weg Menschen zu erreichen, die im Allgemeinen aus unterschiedlichen persönlichen Gründen der Kirche fern bleiben, spielt eine nicht zu vernachlässigende Rolle.

Heutzutage sind Radio und Fernsehgerät in vielen Haushalten bereits durch das Internet verdrängt. Umso wichtiger ist es für die Kirchen, auch die Möglichkeit von Live-Übertragungen im World Wide Web zu nutzen. Die kleine evangelische Gemeinde A. B. von Judenburg in Österreich ist hier eine der Vorreiterinnen: Bereits seit 2002 wird der Gottesdienst alle zwei Wochen im Internet übertragen und kann auf der Homepage der Gemeinde gesehen und gehört werden.

"Gebet to go" an der Kirchentür (Foto: KG Neppendorf)

Aktuelles aus den Kirchengemeinden der EKR

Vergangene Woche hat das Landeskonsistorium Empfehlungen zum Umgang mit COVID-19 veröffentlicht, in denen unter anderem auch auf die Möglichkeit verwiesen wird, Gottesdienste im Rundfunk oder über das Internet zu verfolgen. Ob ein solches digitales Angebot auch aus der einen oder anderen unserer Gemeinden der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) umgesetzt werden kann, wird derzeit erörtert.

In Neppendorf (Kirchenbezirk Hermannstadt) wurde vergangenen Sonntag wie üblich Gottesdienst gehalten, jedoch unter Berücksichtigung der aktuellen Hygieneempfehlungen. Darüber hinaus bietet Neppendorf mit der Aktion Gebet to go eine kreative Lösung an. An der Kirchentür hat Vikarin Angelika Beer Gebete auf Zetteln befestigt, die jeder ablösen und mit nach Hause nehmen kann. Der Neppendorfer Kirchhof bleibt wie gehabt vom Morgen- bis zum Abendläuten geöffnet.

Aus Mühlbach berichtet Stpfr. Alfred Dahinten, dass nur noch etwa die Hälfte der sonst regelmäßig erscheinenden Gemeindeglieder am Gottesdienst teilgenommen haben. Im Anschluss fand ein Informationsgespräch über die aktuelle Situation hinsichtlich der Coronawelle in Rumänien statt.

Auch im Mediascher Kirchenbezirk haben die Pfarrerinnen und Pfarrer im Anschluss an die grundsätzlich noch herkömmlich gefeierten Gottesdienste Gespräche mit den Gemeindegliedern geführt, in denen unter Einhaltung des gebotenen Sicherheitsabstandes die weitere Vorgehensweise diskutiert wurde. Morgen werden die Mediascher Kirchengremien entscheiden, ob und in welcher Form, mittelfristig Gottesdienste angeboten werden.

Zu drastischen Maßnahmen hat das Presbyterium der burzenländischen Kirchengemeinde Zeiden gegriffen: Alle regelmäßigen Gemeindeveranstaltungen (Kindergottesdienst, Nähkreis, Männerrunde, Konfirmandenunterricht, Kirchenchor- und Kinderchorprobe, Kirchenkaffee) werden vorerst bis einschließlich 30. März 2020 abgesagt. Ebenso fällt der sonntägliche Gottesdienst bis Ende März aus. Auch für die Zeit danach wurden bereits einschneidende Vorkehrungen beschlossen. So sind bis auf Widerruf keine Abendmahlsgottesdienste mehr geplant. Die traditionelle Konfirmation am Palmsonntag wird auf einen späteren Termin verschoben. Das Pfarramt schließt vorerst und die Kirchenburg ist bis auf weiteres für alle Besucher geschlossen. Allein das Glockengeläut wird jeden Tag um 7, 12 und 18 Uhr an die Verbundneheit der Gemeindeglieder erinnern.

Schässburgs Bezirksdechant und Stadtpfarrer Bruno Fröhlich hat unterdessen aus aktuellem Anlass ein orthodoxes Gebet übersetzt und bearbeitet:

Bezirksdechant Stpfr. Bruno Fröhlich

“Herr unser Gott, der Du reich bist an Barmherzigkeit und Gnade, und mit Deiner väterlichen Fürsorge unser Leben führst und leitest; höre unser Gebet und siehe gnädig herab auf unsere Bußfertigkeit.
Gebiete Einhalt dieser über die Menschheit hereingebrochenen Epidemie.
Du bist der Arzt unserer Seele und unseres Leibes. Verhilf zur Genesung denen, die krank sind, damit sie Dich mit neuen Zungen loben und preisen. Die Gesunden bewahre vor Ansteckung und Panikmache.
Und alle Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal, die sich aus Menschenliebe opfern und Kranke behandeln, stärke und behüte mit Deiner Gnade.
Entferne alle Krankheit und alles Leid aus Deinem Volk und lehre uns das Leben und die Gesundheit als Deine guten Gaben neu schätzen zu lernen.
Gib uns Deinen Frieden und erfülle unsere Herzen mit einem starken Glauben an Deine väterliche Fürsorge, mit Hoffnung auf Deine Hilfe und mit Liebe zu Dir und unserem Nächsten.
Du allein kannst an Leib und Seele heilen und Dich - den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist - preisen wir jetzt und in Ewigkeit.
Amen.”

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