Hilfe zu verweigern kann keine Alternative sein


TV-Teams besuchen ein von der Kirchengemeinde Hermannstadt vorgeschlagenes Quartier.

Das Angebot der Evangelischen Kirche A. B. in Rumänien (EKR) an den rumänischen Staat, nach Kräften und Möglichkeiten aktiv bei der Unterbringung und Integration von Kriegsflüchtlingen zu helfen, stößt auf erhöhtes Interesse unter den Medien. Online-, Print- und Fernsehredaktionen erkundigten sich in den Tagen nach der Landeskirchenversammlung beim Landeskonsistorium über die Motive, die doch eigentlich auf der Hand liegen. - Ein Kommentar von Stefan Bichler.

Die von der 83. Landeskirchenversammlung (LKV) der EKR verabschiedete „Erklärung zur Aufnahme von Flüchtlingen“ hat nachhaltiges Interesse unter Rumäniens Journalisten und in den Sozialen Netzwerken bewirkt. Der Beschluss, der nur wenige Stunden nach den Terroranschlägen von Paris verabschiedet wurde, fiel in eine Zeit der allgemeinen Skepsis gegenüber Menschen aus dem Nahen Osten. Die polnische Regierung etwa beeilte sich bereits kurz nach den Anschlägen zu verkünden, ihrer auf EU-Ebene zuvor eingegangenen Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen, nicht mehr nachkommen zu wollen.

Flüchtlinge jedoch sind Menschen, die vor genau jenem Terror, den die Europäer nun in Paris gleichsam vor der eigenen Haustüre erleben mussten, fliehen! Ihnen ausgerechnet jetzt aufgrund der politischen Konjunktur die Tore zu schließen, wäre nicht nur ein falsches Signal, sondern es würde eine weitere Abkehr von der moralischen Verpflichtung bedeuten, Menschen in Not zu helfen. An diesem Gebot können aber auch kriminelle Aktionen von einigen Verbrechern nichts ändern.

Ein Drittel eines Fußballfeldes

Etwa sechstausend Flüchtlinge soll Rumänien - großzügigen Berechnungen zufolge - auf der Grundlage der angekündigten Quotenregelung aufnehmen. Das wären etwa 0,03 Prozent, gemessen an der Gesamtbevölkerung. Allein die Sozialdemokratische Partei (PSD) hat knapp hundertmal so viele zahlende Mitglieder und beinahe vierhundertmal so viele Wähler. In Ortschaften wie zum Beispiel Freck leben mehr als doppelt so viele Menschen. Mehr als dreimal so viele Personen haben auf einem Fußballfeld Platz. – Bezogen auf Rumänien ist die angebliche „Flüchtlingsflut“ also wohl kaum mehr als ein tropfender Wasserhahn.

Wenn Menschen einmal einen ordentlichen Aufenthaltstitel in der EU erhalten haben, kann niemand es ihnen verbieten, sich innerhalb der EU auch frei zu bewegen. Wie man also das Phänomen verhindert, dass die ausgeklügelte Quotenverteilung möglicherweise bloß ein paar Tage lang hält, bis die Leute sich aus den unterschiedlichsten Ecken Europas wieder nach Deutschland, Österreich oder Schweden begeben, muss in einem EU-weit gültigen Verfahren geregelt werden. Dieses Dilemma zu lösen, ist eine Aufgabe der Politik und der Behörden. Eine handvoll nachvollziehbarer Vorschläge dazu wurden in den letzten Wochen und Monaten bereits öffentlich erörtert. Mit Sicherheit wird die Bereitschaft der Betroffenen an dem ihnen zugewiesenen Ort zu bleiben auch davon abhängen, wie sie dort aufgenommen werden. Hier können Kirchen, Vereine, NGOs und einzelne Privatpersonen einen entscheidenden Beitrag leisten, wenn sie dazu in der Lage sind. - Die EKR kann das und hat sich dazu bereit erklärt.

Leerstehende Räume ohne anderen Verwendungszweck

Entsprechend dem Beschluss der 83. LKV möchte die EKR die staatlichen Behörden bei der Unterbringung und Integration dieser Hilfesuchenden unterstützen. In der Resolution heißt es wörtlich:

„Wir sind als Kirche bereit, Mitverantwortung zu übernehmen und den rumänischen Staat bei der Aufnahme und Integration der Flüchtlinge nach Kräften und Möglichkeiten zu unterstützen. Mit Sammlungen von Geld, Kleidung, Lebensmitteln, Medikamenten und anderen Hilfsmitteln sowie mit Bereitstellung von Unterbringungsquartieren in den leer stehenden Gebäuden und Wohnungen in unseren Gemeinden wollen wir ein Zeichen der Solidarität und Menschlichkeit setzen.“

Hinsichtlich der in Frage kommenden Immobilien geht es also um leerstehende Räumlichkeiten, die zwar die nötigen Voraussetzungen erfüllen, aber keinem anderen Verwendungszweck zugeführt wurden. Diese Hilfe nicht anzubieten, wäre gerade für eine Kirche ein seelisches Armutszeugnis. Wie könnte man Menschen bei ihrer Herbergsuche untätig zusehen und dabei ungenutzten Raum leer stehen lassen?

Und die Flüchtlinge?

Gemeinsam mit den Vertretern Tschechiens, der Slowakei und Ungarns hatten die rumänischen Repräsentanten sich bei der Abstimmung im EU-Rat für Justiz und Inneres am 22. September 2015 dem gemeinsam entwickelten Verteilungsplan widersetzt. Aufgrund der Regelung, auch mit „qualifizierter Mehrheit“ Beschlüsse fassen zu können, werden trotz des Bukarester Widerstandes einige Tausend Flüchtlinge ins Land kommen. Niemand kann derzeit mit Gewissheit sagen, wann die Rumänien zugeteilten Personen vor Ort erscheinen werden. Da es sich aber um eine Zuteilung durch die Behörden handelt werden die betreffenden Menschen mit Sicherheit nicht unangekündigt, gleichsam „über Nacht“ eintreffen. Es wird ausreichend Gelegenheit gegeben sein, die in Frage kommenden Quartiere auszuwählen und sie für die Ankommenden vorzubereiten.

Frankreich steht immer noch unter dem Schock der Terroranschläge vom vergangenen Wochenende. Das Land befindet sich im Ausnahmezustand. Trotzdem hat Staatspräsident François Hollande bereits am 18. November in einer Rede vor französischen Bürgermeistern klar und deutlich das Versprechen zur Aufnahme von 30.000 Flüchtlingen erneuert. Gerade in Frankreich wissen die Menschen sehr wohl zwischen hilfesuchenden Flüchtlingen und bedrohlichen Kriminellen zu unterscheiden!

Mit der Unterstützung und Aufnahme von Flüchtlingen stellt die EKR sich den Versuchen radikaler Kräfte entgegen, die europäische Gesellschaft zu spalten. Wer eine solche Polarisierung zulässt oder mutwillig fördert, spielt nicht nur populistischen Kräften in der europäischen Politik in die Hände, sondern stellt sich in den Dienst jener, die aus Hass selbst vor blutigem Terror nicht zurückschrecken um eine Spaltung dadurch eine Schwächung Europas zu erzielen.

Stefan Bichler

Ausgewählte Links zu Medienberichten über die Erklärung zur Aufnahme von Flüchtlingen durch die EKR