"Wir sind nicht darum hier geblieben um jetzt aufzugeben"


Bischof Reinhart Guib nach dem Festgottesdienst in Mediasch. Dahinter der Reihe nach: Pfr. Hildegard Servatius-Depner, Pfr. Bettina Kenst, Pfr. Gerhard Servatius-Depner und Pfr. Wolfgang Arvay

Predigt von Bischof Reinhart Guib zu Jes. 49,1-6 (IV), anläßlich des Sachsentreffens in Mediasch am 22. September 2018

„Hört mir zu, ihr Inseln, und ihr Völker in der Ferne, merkt auf! Der Herr hat mich berufen von Mutterleibe an; er hat meines Namens gedacht, als ich noch im Schoß der Mutter war. Er hat meinen Mund wie ein scharfes Schwert gemacht, mit dem Schatten seiner Hand hat er mich bedeckt. Er hat mich zum spitzen Pfeil gemacht und mich in seinem Köcher verwahrt.    Und er sprach zu mir: Du bist mein Knecht, Israel, durch den ich mich verherrlichen will. Ich aber dachte, ich arbeitete vergeblich und verzehrte meine Kraft umsonst und unnütz. Doch mein Recht ist bei dem Herrn und mein Lohn bei meinem Gott. Und nun spricht der Herr, der mich von Mutterleib an zu seinem Knecht bereitet hat, dass ich Jakob zu ihm zurückbringen soll und Israel zu ihm gesammelt werde – und ich bin vor dem Herrn wert geachtet und mein Gott ist meine Stärke –, er spricht: Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, die Stämme Jakobs aufzurichten und die Zerstreuten Israels wiederzubringen, sondern ich habe dich auch zum Licht der Völker gemacht, dass mein Heil reiche bis an die Enden der Erde.” 

Verehrte Honoratioren von nah und fern, lev Sivenberjer Soxen, werte Sachsenfreunde, liebe Festgemeinde!

Ich freue mich sehr Euch alle und jeden einzelnen, im Jahr Eins nach dem weltweiten Sachsentreffen in Hermannstadt, wiederzusehen. Besonders bin ich dankbar, dass wir uns erneut als über Grenzen verbindende Gemeinschaft zusammenfinden. Diesmal nicht in der siebenbürgisch-sächsischen Hauptstadt, sondern in medias res – in der Mitte Siebenbürgens, in Medwesch; in medias res - inmitten der Dinge die unseren siebenbürgischen Alltag ausmachen; in medias res – inmitten der Geschichte „100 Jahre in Rumänien“, die in Mediasch am 8. Januar 1919 mit der hier verabschiedeten Anschlusserklärung begonnen hat. Was sind schon 100 Jahre? Letztes Jahr feierten wir 500 Jahre Reformation, die in Wittenberg begann und auf der Mediascher Synode in dieser Kirche von den Siebenbürger Sachsen begrüßt und angenommen wurde. Die Christenheit ist 2.000 Jahre alt und trotzdem lebendig und wach. Das Wort Gottes das wir eben hörten liegt sogar 2.600 Jahre zurück.

Das Rufen aus diesen Versen klingt wie von sehr ferne, weit über Raum und Zeit hinweg. Aus dem alten Babylonien wo das Volk Israel in der Verbannung war will der Ruf auch uns heute erreichen. Aus deren Sicht damals sind wir ein Volk in der Ferne und Siebenbürgen eine Insel im Meer der Zeit. Die Stimme des Rufers bleibt unerkannt. Gottesknecht wird er genannt. Es könnte der Prophet Jesaja sein, ja das ganze Volk Israel, oder ein anderer Prophet, der hier spricht. Seine Person und sein Schicksal sind uns unbekannt. Aber seine Gefühle, sein Leiden und Erleben hat er uns durch Worte vertraut gemacht, die in unsere Palmsonntag- und Karfreitag-Liturgie eingeflossen sind: „Fürwahr er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“ Und „er ist um unserer Missetat willen verwundet und unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Die Kirche hat in diesem Unbekannten Jesus, den Christus wiedergefunden, der für uns gelebt, gewirkt und gelitten hat, gestorben und am dritten Tage auferstanden ist. In dessen Namen wir heute zusammen sind und der uns vereint, über all unser Sachsen- und Deutschtum hinaus.

Ein starkes Bild mutet uns das Predigtwort zu: Ein Mund scharf wie ein Schwert. Ein Mensch mit seinem Wort wie ein Pfeil Gottes, der auch trifft. Auffallend: Nicht die Person drängt sich in den Vordergrund. Wie anders vernehmen wir das aus den USA, Russland, der Türkei, oder auch aus unserem Land, wo Staatsmänner zu Diktatoren worden sind. Nein, die Botschaft ist wichtig. Sie ist keine Falschmeldung wie sie in Medien heute immer öfters breit gestreut werden. Sie ist real und sie soll ankommen. Das Schicksal des Wortes wird das Schicksal des Gottesknechts. Die Person ist eins mit dem Wort. Das war bei Mose und Josua so. Bei den Propheten nicht anders. In Jesus Christus finden wir Gott und sein Wort verkörpert. Uns geschenkt in Brot und Wein, im Hören der Heiligen Schrift, im Glauben, in der Gnade, wie es unser aller Reformator Martin Luther treffend auszusprechen wusste. Was bedeutet das aber für uns?

Wir leben in einer Welt 2.600 Jahre nach dem Ruf des Propheten, 2.000 Jahre nach Christus, mit 500 Jahren Reformationsgeschichte im Gepäck, ernüchtert in 100 Jahren deutsche und siebenbürgisch-sächsische Geschichte in Rumänien, angefeindet und beeinträchtigt durch die heute führende politische Klasse im Land, ein Jahr nach dem großen Vereinigungsfest als siebenbürgisch-sächsische Gemeinschaft.

In Zeit und Raum bis heute wurde der Wert des gesprochenen Wortes zum Guten gebraucht wie zum Bösen missbraucht.   

Viele Worte waren und sind auch vergeblich gesprochen worden: Worte von Eltern zu ihren Kindern, Worte zwischen Liebenden, Worte von Predigern, Worte der Kirche, des Forums und der Deutschen Bundesregierung zu Fragen oder Fehlentwicklungen der Zeit und der Regierung und Parlamentsmehrheit im Land. Die Vergeblichkeit unseres Wortes und Wirkens lässt uns oft müde werden und enttäuscht zurück. Wenn unser Wort nicht gehört, der Protest des Wortes niedergeknüppelt, wie unlängst in Bukarest, das Wort das Anstand und Respekt, Gerechtigkeit und Wahrheit fordert verdreht und als parallele Wirklichkeiten verkauft wird, sogar ein Referendum wie das anstehende als Machtdemonstration missbraucht wird, dann werden wir immer schweigsamer und verstummen. Auszuwandern wie es inzwischen fünf Millionen rumänische Staatsbürger getan haben ist nicht unsere Absicht. Wir sind nicht darum hier geblieben um jetzt aufzugeben. Wir sind loyale und konstruktive Bürger des Staates, gerne auf der Insel Siebenbürgen und wollen hier und heute was zum Guten ändern. Gute Worte, die zu Frieden und Versöhnung, Toleranz und Solidarität, Ehrlichkeit und Fleiß, wahren Glauben und Hoffnung aufrufen, haben es schwer sich heute durchzusetzen. Erst recht zu Taten und Verhaltensweisen zu werden. Wer sich für gemeinschaftliche, verantwortliche, verbindende und menschennahe Werte einsetzt verbindet sein Schicksal damit und hat Schweres durchzustehen und braucht die Kraft aus der Höhe. Denken wir an Dietrich Bonhoeffer und Indira Gandhi, oder stellvertretend für viele aus unserer Geschichte, an Stephan Ludwig Roth und Bischof Georg Daniel Teutsch im 19. Jahrhundert, an Bischof Friedrich Müller-Langenthal und Landeskirchenkurator Hans Otto Roth, in den 40er-Jahren des vorigen Jahrhunderts, an unseren hochverehrten heimgegangenen Prof. Paul Philippi und unseren jetzigen Staatspräsidenten nach der Wende, oder auch an den gestern geehrten und den heute zu ehrenden Vertreter unserer Gemeinschaft, die aus Deutschland für diese Werte auch hier wirken. Wie viel mehr Kraft und Durchhaltevermögen ist nötig wenn es um das Wort Gottes geht! Das Wort das die Welt geschaffen, das Abraham Nachkommen verheißen, Israel aus der ägyptischen Sklaverei befreit, durch die Propheten das Volk auf den guten Weg gerufen und das die Juden und Christen aufgeschrieben und bis heute bewahrt haben! Dies Wort wurde oft nicht angenommen, wie Christus nicht angenommen wurde. Davon erzählt uns das Predigtwort. Aber damit endet die heutige Botschaft, Gott sei Dank, nicht.

In seinem Wort sammelt Gott uns Menschen guten Willens zu ihm, wie heute, um uns als einzelne und in der Gemeinschaft zu stärken und zu trösten, zu mahnen und zu führen. Und auch wenn wir mal müde werden und verstummen, sein Wort findet den Weg zu einer offenen Seele. Im Krieg, in der Deportation, im Entscheiden ob Gehen oder Bleiben, im Neuanfang hier und dort, im Einstehen für die christlichen und menschenfreundlichen Werte im Land und in Europa durften unsere Vorfahren und können wir uns heute vom Wort Gottes ausrichten und bewegen lassen. Trotz allem Zweifel und Anfechtung die der Gottesknecht durchsteht lässt Gott ihn und uns mit unserem Wirken nicht allein und in der Vergeblichkeit zurück. Er schenkt uns seine Gnade und Liebe, wenn er vom Zurückbringen, vom Sammeln, vom Wertachten, vom Stärken, vom Aufrichten, vom Wiederbringen spricht. Vieles davon hat nicht nur das Volk Israel vor langer Zweit erfahren, sondern auch Menschen um uns und wir selbst haben solches durch die wieder zusammen- gewachsene Gemeinschaft erlebt. Zeichen der Zuwendung Gottes sind sichtbar: Das Chorgestühl aus Tobsdorf das nach einer aufwendigen und langwierigen Restaurierung in Hildesheim nun nach Mediasch zurückgebracht wird; das Wertachten und Stärken der alten Weinsorten durch „Terra regis“ in Bogeschdorf und „Caspari und Ambrosi“ in Mediasch; das Sammeln und Aufrichten von Gemeinsamkeiten die zu einer Partnerschaft zwischen Wittenberg und Mediasch führen wollen. Ähnliche Zeichen Gottes wie im Mediascher Raum gibt es überall in Siebenbürgen. Zeichen die sogar darüber hinausgehen, wenn ich an das Wiederentdecken und Wertschätzen der Menschen und Landschaften denke die vor 100 Jahren zu Rumänien und unserer Kirche dazukamen, wie das Altreich, das Banat, Bessarabien, die Bukowina, die Dobrudscha bzw. die bis dann zu einem Großreich, dem Österreich-Ungarischen, gehörten. Durch unser landeskirchliches Projekt „Gesichter-Grenzen-Geschwister“ wollen wir die nächsten vier Jahre im europäischen Rahmen neu zusammenfinden und das Gemeinsame suchen und stärken. Für all das dürfen wir Gott danken. Darum gibt es berechtigte Hoffnung, auch wenn wir vieles als vergeblich und kräftezehrend, umsonst und unnütz erfahren, wie der Gottesknecht es selbst beklagt.

Gerade wenn der Blick trüb und die Sinnfrage einen nicht loslässt, weitet Gott seinem Knecht den Blickwinkel und den Aufgabenbereich, von Israel auf die Welt. Auch unseren, von uns Siebenbürger Sachsen immer mehr auch auf die anderen, uns umgebenden Menschen, und von Siebenbürgen auf Europa. Dahingehend zu wirken übersteigt unser Maß und unsere Möglichkeiten. Das kann ein einzelner auch nicht. Das kann nur Gott selbst. Er denkt nie klein, aber sieht auch das Kleine. Er denkt groß und will uns darum einspannen um die Welt gottähnlich und menschenfreundlich zu gestalten. Er mutet uns viel mehr zu als wir von uns denken und halten. Er weiß es gibt noch so viel mehr zu entdecken an Möglichkeiten, an Fähigkeiten, an Aufgaben. So ist Gott auf der Suche, für sein Wort und unsere Sache, nach Männer und Frauen die sie verinnerlichen, weitersagen und weitertragen und dafür mit ihrer Person, ihrem Glauben, ihrer Überzeugung, ihren Gaben voll einstehen. Jeder und jede ist dazu berufen. In Christus hat dieses Wort Gottes unsere menschliche Gestalt angenommen. In ihm ist Gottes Licht zu den Völkern gekommen, auch zu den Siebenbürger Sachsen, auf Wolke Siebenbürgen, wie es unser geschätzter heimgegangener Mundartdichter „Voltaire“, Gottfried Walther Seidner, genannt hat. Durch Christus hat Gott allen Menschen das Heil, sein Mitgehen und Mithelfen jetzt und hier und bis in Ewigkeit verheißen. An Christus sind wir eingeladen uns zu orientieren, von dem erfahrenen und geglaubten Licht und Heil weiterstrahlen zu lassen. Ohne Recht und Lohn zu erwarten. Die hat allein Gott für uns bereit. So wie er uns auch verspricht: „Mein Wort wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“ Das möge uns Ansporn, Kraft und Zuversicht schenken, als Siebenbürger Sachsen und Europäer, als Evangelische und Kinder Gottes, heute, morgen und allezeit.

Amen!

Bischof Reinhart Guib